Pflegekräfte als Anwälte ihrer Patienten in der häuslichen Altenpflege

Älte­re Men­schen, die zu Hau­se gepflegt wer­den, befin­den sich oft in einer ver­letz­li­chen Situa­ti­on. Vie­le kön­nen ihre Wün­sche und Bedürf­nis­se nicht mehr selbst­be­wusst äußern – sei es aus gesund­heit­li­chen Grün­den, wegen nach­las­sen­der geis­ti­ger Kräf­te oder ein­fach aus Zurück­hal­tung. Genau hier kommt die advo­ka­to­ri­sche Rol­le der Pfle­ge­kräf­te ins Spiel. Die­ser Blog­ar­ti­kel beleuch­tet ver­ständ­lich, was es bedeu­tet, wenn Pfle­ge­kräf­te in der häus­li­chen Alten­pfle­ge als Für­spre­cher ihrer Pati­en­ten auf­tre­ten, war­um das so wich­tig ist, wie es im All­tag aus­sieht und wel­che Her­aus­for­de­run­gen und Chan­cen damit ver­bun­den sind. Bei­spie­le aus der Pra­xis und Hin­wei­se auf ethi­sche sowie recht­li­che Grund­la­gen (etwa Pati­en­ten­rech­te) run­den das Bild ab.

Was bedeutet „advokatorische Rolle“ in der Pflege?

Der Begriff advo­ka­to­risch lei­tet sich von Advo­kat (Anwalt) ab. Natür­lich sind Pfle­ge­kräf­te kei­ne Juris­ten – aber im über­tra­ge­nen Sin­ne agie­ren sie als Anwäl­te ihrer Pati­en­ten. Das heißt, sie set­zen sich stell­ver­tre­tend für die Inter­es­sen und Rech­te der pfle­ge­be­dürf­ti­gen Per­son ein und geben ihr eine Stim­me, wenn sie selbst nicht gehört wird. Eine Pfle­ge­kraft als Für­spre­cher sorgt zum Bei­spiel dafür, dass ein älte­rer Mensch bei Ent­schei­dun­gen, die ihn betref­fen, mit­re­den kann, infor­miert ist und fair behan­delt wird. Sie steht dem Pfle­ge­be­dürf­ti­gen zur Sei­te und han­delt in sei­nem Namen und Ein­ver­ständ­nis, um des­sen Wün­sche und Wohl zu ver­tre­ten. Kurz gesagt: Die Pfle­ge­kraft nimmt die Per­spek­ti­ve des älte­ren Men­schen ein und ver­tritt des­sen Anlie­gen gegen­über ande­ren – ob es Ange­hö­ri­ge, Ärz­te oder Behör­den sind.

Die­se Für­spre­cher-Rol­le erfor­dert Ein­füh­lungs­ver­mö­gen, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ta­lent und oft auch Mut. Pfle­ge­kräf­te müs­sen genau zuhö­ren, was die Senio­ren wol­len, oder auch non­ver­ba­le Signa­le ver­ste­hen, wenn jemand sich nicht klar aus­drü­cken kann. Sie balan­cie­ren zwi­schen dem Wil­len des Pfle­ge­be­dürf­ti­gen und dem, was medi­zi­nisch oder orga­ni­sa­to­risch not­wen­dig erscheint. Wich­tig ist: Advo­ka­to­risch han­deln heißt immer im Sin­ne des Pati­en­ten han­deln – und zwar in Abstim­mung mit ihm. Es geht nicht dar­um, über sei­nen Kopf hin­weg zu ent­schei­den, son­dern mit sei­ner Zustim­mung für sein Bes­tes ein­zu­tre­ten.

Warum ist diese Fürsprecher-Rolle so wichtig?

Ohne eine enga­gier­te Stim­me lau­fen älte­re Pfle­ge­be­dürf­ti­ge Gefahr, im kom­ple­xen Pfle­ge- und Gesund­heits­sys­tem über­se­hen zu wer­den. Senio­ren in Pfle­ge haben zwar die glei­chen Rech­te wie alle ande­ren Men­schen, doch kön­nen sie die­se in ihrer Lebens­si­tua­ti­on oft nicht allei­ne durch­set­zen. Häu­fig sind sie geschwächt oder kogni­tiv ein­ge­schränkt und kön­nen ihre Bedürf­nis­se nicht ange­mes­sen äußern oder ver­tre­ten. Man­che scheu­en sich auch, „Umstän­de zu machen“ – spe­zi­ell die Kriegs­ge­nera­ti­on ist oft sehr beschei­den und akzep­tiert still, was man ihr zuteilt. Dadurch könn­ten ihre Wün­sche und ihr Wohl­erge­hen zu kurz kom­men, wenn nie­mand für sie eintritt.

Pfle­ge­kräf­te fül­len die­se Lücke: Sie ach­ten dar­auf, dass die Wür­de, die Inter­es­sen und das Wohl des älte­ren Men­schen an ers­ter Stel­le ste­hen. Das ist nicht nur mora­lisch gebo­ten, son­dern auch ein Kern der Pfle­ge­ethik. In der Char­ta der Rech­te hil­fe- und pfle­ge­be­dürf­ti­ger Men­schen wird betont, dass jeder pfle­ge­be­dürf­ti­ge Mensch Anspruch auf Respekt, Selbst­be­stim­mung, Sicher­heit und Teil­ha­be hat. Da vie­le sich häu­fig nicht selbst ver­tre­ten kön­nen, tra­gen Gesell­schaft und Fach­kräf­te eine beson­de­re Ver­ant­wor­tung, ihre Rech­te und ihre Wür­de zu schüt­zen. Genau dar­um ist die advo­ka­to­ri­sche Rol­le so bedeut­sam: Sie ist Schutz­me­cha­nis­mus gegen Ver­nach­läs­si­gung, fal­sche Ent­schei­dun­gen oder Miss­brauch. Eine Pfle­ge­kraft, die als Anwalt ihres Pati­en­ten agiert, stellt sicher, dass die­ser nicht „über­rollt“ wird – weder von büro­kra­ti­schen Abläu­fen noch von medi­zi­ni­schen Ent­schei­dun­gen, die er viel­leicht gar nicht will.

Nicht zuletzt schafft die­se Rol­le Ver­trau­en. Älte­re Men­schen – beson­ders wenn sie krank oder unsi­cher sind – brau­chen jeman­den, dem sie ver­trau­en kön­nen. Wenn die Pfle­ge­kraft zeigt „Ich ste­he auf dei­ner Sei­te und sor­ge dafür, dass du gehört wirst“, stärkt das die Bezie­hung enorm. Die­se ver­trau­ens­vol­le Ver­bin­dung ist oft die Grund­la­ge dafür, dass sich Senio­rin­nen und Senio­ren über­haupt öff­nen und ihre Wün­sche mit­tei­len. So trägt Für­spra­che auch zur see­li­schen Ent­las­tung bei: Der Pfle­ge­be­dürf­ti­ge fühlt sich ernst genom­men und sicher auf­ge­ho­ben, was sich posi­tiv auf sein Wohl­be­fin­den auswirkt.

Fürsprache im Pflegealltag: Wie sieht das konkret aus?

Wie genau tritt eine Pfle­ge­kraft im All­tag als Für­spre­cher auf? Oft geschieht das in vie­len klei­nen Situa­tio­nen, die zusam­men­ge­nom­men einen gro­ßen Unter­schied machen. Hier eini­ge pra­xis­na­he Bei­spie­le, wie Pfle­ge­kräf­te in der häus­li­chen Alten­pfle­ge die Inter­es­sen und Bedürf­nis­se ihrer Schütz­lin­ge schüt­zen und fördern:

  • Wah­rung von Wür­de und Pri­vat­heit: Eine enga­gier­te Pfle­ge­kraft ach­tet im All­tag auf schein­bar selbst­ver­ständ­li­che Din­ge, die aber viel aus­ma­chen. Zum Bei­spiel sorgt sie dafür, dass die Pri­vat­sphä­re der Senio­rin respek­tiert wird – etwa indem sie beim Umklei­den oder Waschen die Zim­mer­tür schließt. Sie spricht den älte­ren Men­schen mit Namen und in respekt­vol­lem Ton an, bit­tet um Erlaub­nis bevor sie Hand­lun­gen vor­nimmt, und wahrt so die Selbst­ach­tung des Pflegebedürftigen.
  • Ein­bin­dung in Ent­schei­dun­gen: Stel­len wir uns Herrn M. vor, der 89 Jah­re alt ist und zu Hau­se gepflegt wird. Er soll laut Arzt eine neue The­ra­pie bekom­men. Die Pfle­ge­kraft erklärt Herrn M. in Ruhe, war­um die Behand­lung emp­foh­len wird, wel­che Vor- und Nach­tei­le sie hat, und fragt nach sei­ner Mei­nung. Wenn Herr M. Vor­be­hal­te hat, nimmt sie die­se ernst. Ange­nom­men, er ent­schei­det sich gegen die The­ra­pie – viel­leicht aus Angst oder weil er sei­ne Ruhe möch­te. Die Pfle­ge­kraft wird die­se Ent­schei­dung respek­tie­ren und gleich­zei­tig ver­su­chen, ihn best­mög­lich über die Kon­se­quen­zen auf­zu­klä­ren. Sie könn­te z.B. dem Haus­arzt rück­mel­den: „Herr M. möch­te das nicht. Kön­nen wir gemein­sam eine Alter­na­ti­ve fin­den?“ Damit stellt sie sicher, dass sein Wil­le zählt, selbst wenn die medi­zi­ni­sche Fach­welt viel­leicht anders ent­schie­den hätte.

Pfle­ge­kräf­te beglei­ten und unter­stüt­zen Senio­ren im All­tag – und sie ver­tre­ten ihre Bedürf­nis­se gegen­über Drit­ten. Im häus­li­chen Umfeld wächst häu­fig ein enges Ver­trau­ens­ver­hält­nis, in dem die Pfle­ge­kraft zur Anwäl­tin des älte­ren Men­schen wird.

  • Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Ärz­ten: Häus­li­che Pfle­ge­kräf­te sind oft das Bin­de­glied zwi­schen Pati­ent und Arzt. Ein prak­ti­sches Bei­spiel: Frau L., 85, hat nach einem Kran­ken­haus­auf­ent­halt Schmer­zen, traut sich aber nicht, „schon wie­der“ den Arzt anzu­ru­fen. Die Pfle­ge­kraft merkt das und nimmt ihre Schmer­zen ernst. Sie ruft beim Haus­arzt an, schil­dert die Lage und erreicht, dass die Medi­ka­ti­on ange­passt wird. Hier hat die Pfle­ge­kraft für Frau L. gespro­chen, damit sie die not­wen­di­ge Schmerz­lin­de­rung bekommt. Eben­so ach­ten Pfle­gen­de dar­auf, dass Ärzt*innen ihre Pati­en­ten ver­ständ­lich auf­klä­ren. Soll­te ein Arzt im Fach­jar­gon spre­chen und der Seni­or ver­steht nur Bahn­hof, kann die Pfle­ge­kraft nach­ha­ken und um ein­fa­che Wor­te bit­ten oder spä­ter dem Pfle­ge­be­dürf­ti­gen alles in Ruhe erklä­ren. So wird gewähr­leis­tet, dass der älte­re Mensch wirk­lich infor­miert zustim­men kann – ein Kern­prin­zip der Patientenrechte.
  • Unter­stüt­zung gegen­über Behör­den und Orga­ni­sa­tio­nen: Im Pfle­ge­dschun­gel mit Pfle­ge­kas­se, Rezep­ten, Hilfs­mit­teln und For­mu­la­ren bli­cken vie­le älte­re Men­schen nicht durch. Pfle­ge­kräf­te hel­fen hier oft qua­si als Sozi­al­lot­se. Sie infor­mie­ren z.B. dar­über, wel­che Hilfs­an­ge­bo­te es gibt (Pfle­ge­hilfs­mit­tel, Essen auf Rädern, Wohn­raum­an­pas­sung etc.) und unter­stüt­zen beim Bean­tra­gen. Wenn etwas schief­läuft – etwa die Kran­ken­kas­se geneh­migt eine nöti­ge Leis­tung nicht – kann die Pfle­ge­kraft im Sin­ne des Pfle­ge­be­dürf­ti­gen wider­spre­chen oder wei­te­re Schrit­te anre­gen. Dadurch wer­den die Rech­te des Pfle­ge­be­dürf­ti­gen gegen­über dem Sys­tem gewahrt, selbst wenn die­ser allei­ne viel­leicht kapi­tu­liert hätte.

Die Lis­te lie­ße sich fort­set­zen. Wich­tig ist: Im All­tag zeigt sich die advo­ka­to­ri­sche Rol­le in vie­len klei­nen Ges­ten und gro­ßen Taten, die alle dar­auf abzie­len, dass der älte­re Mensch best­mög­lich ver­sorgt ist und sei­ne Wün­sche respek­tiert wer­den. Oft mer­ken Außen­ste­hen­de gar nicht, wie viel die Pfle­ge­kraft im Hin­ter­grund für „ihren“ Seni­or regelt und ermög­licht – doch für die Lebens­qua­li­tät des älte­ren Men­schen ist es unbezahlbar.

Vermittler zwischen Angehörigen, Patient und medizinischem Personal

Ein ent­schei­den­der Aspekt der Für­spre­cher-Rol­le ist die Kom­mu­ni­ka­ti­on auf Augen­hö­he mit Ange­hö­ri­gen und ande­ren Fach­leu­ten. Häu­fig sind in der häus­li­chen Alten­pfle­ge die nächs­ten Ver­wand­ten eng ein­ge­bun­den. Sie wol­len – ver­ständ­li­cher­wei­se – das Bes­te für Mut­ter, Vater oder Groß­el­tern und tre­ten ener­gisch für deren Belan­ge ein. In gewis­ser Wei­se sind enga­gier­te Ange­hö­ri­ge selbst Anwäl­te des Pfle­ge­be­dürf­ti­gen, was eine Zusam­men­ar­beit mit den Pfle­ge­kräf­ten enorm berei­chern kann, aber auch Kon­flik­te ber­gen könnte.

Die Pfle­ge­kraft nimmt hier eine ver­mit­teln­de Posi­ti­on ein: Sie hört den Ange­hö­ri­gen zu, nimmt deren Sor­gen ernst und infor­miert sie trans­pa­rent über den Zustand und die Pfle­ge des Seni­ors (natür­lich nur in dem Rah­men, dem der Pfle­ge­be­dürf­ti­ge zuge­stimmt hat – Stich­wort Schwei­ge­pflicht und Daten­schutz). Gleich­zei­tig ach­tet sie dar­auf, die Wün­sche des Pfle­ge­be­dürf­ti­gen zu ver­tre­ten, gera­de wenn die­se von den Vor­stel­lun­gen der Fami­lie abwei­chen. Zum Bei­spiel könn­te ein Sohn dar­auf drän­gen, dass der bett­lä­ge­ri­ge Vater ins Pfle­ge­heim kommt, weil er Angst hat, die häus­li­che Pfle­ge rei­che nicht aus. Wenn aber der Vater aus­drück­lich zu Hau­se blei­ben möch­te, wird die Pfle­ge­kraft das zur Spra­che brin­gen und gemein­sam mit allen Betei­lig­ten nach Lösun­gen suchen, um den Ver­bleib daheim doch zu ermög­li­chen. Hier ist Fin­ger­spit­zen­ge­fühl gefragt, um zwi­schen dem Wohl des Pfle­ge­be­dürf­ti­gen und den Ent­las­tungs­be­dürf­nis­sen der Ange­hö­ri­gen zu balancieren.

Auch gegen­über Ärz­ten, The­ra­peu­ten oder Pfle­ge­be­ra­tungs­stel­len fun­gie­ren Pfle­ge­kräf­te als Sprach­rohr ihrer Pati­en­ten. Sie über­mit­teln wich­ti­ge Infor­ma­tio­nen: etwa wenn die Senio­rin signa­li­siert, dass sie gewis­se Medi­ka­men­te nicht ver­trägt, oder wenn der All­tag zeigt, dass der Pfle­ge­plan ange­passt wer­den muss. Durch die­se Rück­mel­dun­gen tra­gen sie dazu bei, dass alle im Betreu­ungs­team die Per­spek­ti­ve des älte­ren Men­schen ken­nen und berück­sich­ti­gen. Man kann sich die Pfle­ge­kraft hier wie ein Schar­nier vor­stel­len, das Pati­ent, Fami­lie und Pro­fi-Team ver­bin­det – damit alle an einem Strang zie­hen und Miss­ver­ständ­nis­se ver­mie­den werden.

Wich­tig ist dabei stets eine respekt­vol­le, kon­struk­ti­ve Kom­mu­ni­ka­ti­on. Eine gute Pfle­ge­kraft wird ver­su­chen, Kon­flik­te zu mode­rie­ren, nicht anzu­hei­zen. Wenn etwa ein Ange­hö­ri­ger sehr unge­hal­ten Kri­tik übt (im ein­gangs erwähn­ten Bei­spiel rüg­te eine Toch­ter laut­stark das Pfle­ge­per­so­nal, weil die Mut­ter zu trin­ken brauch­te), bleibt die pro­fes­sio­nel­le Pfle­ge­kraft ruhig, ver­sucht die Per­spek­ti­ve zu ver­ste­hen und Lösun­gen anzu­bie­ten, anstatt in Kon­fron­ta­ti­on zu gehen. So schafft sie Ver­trau­en auf allen Sei­ten. Ihr Ziel bleibt dabei klar: das Bes­te für den Pfle­ge­be­dürf­ti­gen her­aus­zu­ho­len, im kon­struk­ti­ven Mit­ein­an­der mit allen Beteiligten.

Ethische Verantwortung: Das Wohl des Patienten an erster Stelle

Pfle­ge­kräf­te als Anwäl­te ihrer Pati­en­ten zu sehen, hat eine tie­fe ethi­sche Dimen­si­on. In der Berufs­ethik der Pfle­ge – ob in Leit­bil­dern von Pfle­ge­diens­ten, im ICN-Ethik­ko­dex oder ande­ren berufs­ethi­schen Stan­dards – steht der Mensch im Mit­tel­punkt. Die Wür­de und das Wohl der anver­trau­ten Per­so­nen zu wah­ren, ist obers­tes Gebot. Für eine Pfle­ge­kraft bedeu­tet das kon­kret, stets zu fra­gen: „Was braucht die­ser Mensch wirk­lich? Was wünscht er sich? Und wie kann ich dazu bei­tra­gen, dass er die best­mög­li­che Betreu­ung erfährt – fach­lich kom­pe­tent und mensch­lich zugewandt?“

Zu die­ser ethi­schen Ver­ant­wor­tung gehört auch das Ein­tre­ten für die Pati­en­ten­rech­te. Pfle­ge­kräf­te beken­nen sich dazu, die Rech­te des Pati­en­ten zu wah­ren und sei­nen frei­en Wil­len anzu­er­ken­nen. Prak­tisch umfasst das z.B. das Recht auf Selbst­be­stim­mung, auf Infor­ma­ti­on und Auf­klä­rung, auf Pri­vat­sphä­re und dar­auf, wür­de­voll behan­delt zu wer­den. Auch wenn Pfle­ge­kräf­te recht­lich gese­hen nicht die­sel­be Ent­schei­dungs­be­fug­nis haben wie etwa ein gesetz­li­cher Betreu­er, so sind sie doch Anwäl­te im mora­li­schen Sinn: Sie ach­ten im All­tag peni­bel dar­auf, dass kein Recht mit Füßen getre­ten wird. Sie wür­den zum Bei­spiel nie eine pfle­ge­ri­sche Maß­nah­me gegen den erklär­ten Wil­len des Pati­en­ten durch­füh­ren, außer es besteht aku­te Gefahr (und selbst dann müss­te man juris­tisch genau hin­schau­en, was erlaubt ist). Im Zwei­fels­fall holen sie eine ein­ver­ständ­li­che Lösung oder offi­zi­el­le Zustim­mung ein, statt ein­fach über­zu­ge­hen. Die­ses ethi­sche Rück­grat zeich­net gute Pfle­ge aus.

Pfle­ge­kräf­te über­neh­men viel­fäl­ti­ge Auf­ga­ben – vom medi­zi­ni­schen bis zum mensch­li­chen Bei­stand. Ihre ethi­sche Ver­pflich­tung ist es, bei allem Tun das Herz­stück nicht zu ver­ges­sen: das Wohl und die Wür­de des Pfle­ge­be­dürf­ti­gen. Als „Anwäl­te“ ihrer Pati­en­ten navi­gie­ren sie durch kom­ple­xe Pfle­ge­si­tua­tio­nen stets mit Blick auf die Inter­es­sen des Men­schen im Zentrum.

Pfle­ge ist also immer auch ein mora­li­sches Han­deln. Es ver­langt manch­mal, unbe­que­me The­men anzu­spre­chen – etwa wenn ein älte­rer Pati­ent in der End­pha­se sei­nes Lebens ande­re Prio­ri­tä­ten hat als wei­te­re lebens­ver­län­gern­de Maß­nah­men. Die Pfle­ge­kraft muss dann die Auto­no­mie des Pati­en­ten respek­tie­ren, selbst wenn das heißt, einen Ster­be­wunsch zu akzep­tie­ren oder pal­lia­ti­ve Wege zu gehen. Ethi­sche Ent­schei­dun­gen kön­nen schwie­rig sein, zum Bei­spiel im Span­nungs­feld zwi­schen Für­sor­ge und Respekt vor dem Eigen­wil­len des Pfle­ge­be­dürf­ti­gen. Doch letzt­lich gilt: Es ist der Wil­le des Pati­en­ten, der maß­geb­lich ist. Eine Pfle­ge­kraft als Für­spre­che­rin wird daher immer ver­su­chen, die­sen Wil­len zu ergrün­den und ihm Gel­tung zu ver­schaf­fen – das ist geleb­te Ach­tung der Person.

Gesetzliche Grundlagen: Patientenrechte in der Pflege

Neben ethi­schen Prin­zi­pi­en gibt es in Deutsch­land auch gesetz­li­che Grund­la­gen, die die Pati­en­ten­rech­te stär­ken und an denen sich Pfle­ge­kräf­te ori­en­tie­ren. Ein Mei­len­stein war das Pati­en­ten­rech­te­ge­setz von 2013, das zen­tra­le Rech­te von Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten aus­drück­lich ins Gesetz schrieb. Dazu zäh­len zum Bei­spiel: das Recht auf ver­ständ­li­che Infor­ma­ti­on über den Gesund­heits­zu­stand sowie über Unter­su­chun­gen und Behand­lun­gen, das Recht, Behand­lun­gen nur mit frei­wil­li­ger Ein­wil­li­gung nach aus­rei­chen­der Auf­klä­rung zu erhal­ten, und das Recht auf Ein­sicht in die Pfle­ge­do­ku­men­ta­ti­on oder Kran­ken­ak­te. Auch die Schwei­ge­pflicht und der Daten­schutz sind gesetz­lich ver­an­kert – per­sön­li­che Gesund­heits­da­ten müs­sen ver­trau­lich behan­delt wer­den. Die­se gesetz­li­chen Pati­en­ten­rech­te gel­ten selbst­ver­ständ­lich auch im Pfle­ge­kon­text: Jeder Pfle­ge­be­dürf­ti­ge hat z.B. das Recht, über Pfle­ge­leis­tun­gen auf­ge­klärt zu wer­den und ihnen zuzu­stim­men oder sie abzulehnen.

Für die häus­li­che Alten­pfle­ge sind dar­über hin­aus das Sozi­al­recht (SGB XI für Pfle­ge­ver­si­che­rung, SGB V für häus­li­che Kran­ken­pfle­ge) und die oben erwähn­te Pfle­ge-Char­ta rele­vant. Letz­te­re ist zwar „nur“ eine Ver­ein­ba­rung, aber sie dient als Leit­fa­den für wür­de­vol­le Pfle­ge. Dar­in ist z.B. fest­ge­hal­ten, dass jeder hil­fe- und pfle­ge­be­dürf­ti­ge Mensch das Recht auf Selbst­be­stim­mung, auf Schutz vor Gefah­ren, auf Unter­stüt­zung zur Selbst­hil­fe, auf Wah­rung der Pri­vat­heit und auf Teil­ha­be am gesell­schaft­li­chen Leben hat. Pfle­ge­kräf­te soll­ten die­se Rech­te ken­nen und im All­tag aktiv dar­auf ach­ten, dass sie ein­ge­hal­ten wer­den. So wird abs­trak­tes Recht zu geleb­ter Rea­li­tät: Etwa indem die Pfle­ge­kraft orga­ni­siert, dass ihre Kli­en­tin trotz Pfle­ge­be­dürf­tig­keit an der Geburts­tags­fei­er der Enkel teil­neh­men kann (Recht auf Teil­ha­be), oder indem sie bei mög­li­cher Gefähr­dung – zum Bei­spiel Anzei­chen von Gewalt oder Ver­nach­läs­si­gung – nicht weg­schaut, son­dern Mel­dung macht (Recht auf Unversehrtheit).

Zu nen­nen ist auch das Recht auf Beschwer­den: Pfle­ge­be­dürf­ti­ge und Ange­hö­ri­ge dür­fen Män­gel anspre­chen, ohne Nach­tei­le befürch­ten zu müs­sen. Pro­fes­sio­nel­le Pfle­ge­kräf­te unter­stüt­zen kon­struk­tiv dabei – bei­spiels­wei­se indem sie von sich aus regel­mä­ßi­ge Feed­back-Gesprä­che anbie­ten oder Hin­wei­se geben, wo man sich hin­wen­den kann (etwa an einen Pati­en­ten­für­spre­cher in Ein­rich­tun­gen oder an Bera­tungs­stel­len). Die­ses part­ner­schaft­li­che Beschwer­de­ma­nage­ment ist eben­falls Teil der Advo­ca­cy: Es zeigt, dass die Stim­me des Pati­en­ten zählt und ernst­ge­nom­men wird.

In der Pra­xis kann es vor­kom­men, dass recht­li­che Stell­ver­tre­ter invol­viert sind – etwa ein gericht­lich bestell­ter Betreu­er oder jemand mit Vor­sor­ge­voll­macht. In sol­chen Fäl­len arbei­tet die Pfle­ge­kraft mit die­sen Ver­tre­tern zusam­men, ver­liert aber den­noch nicht den eigent­li­chen Men­schen aus dem Blick. Ihr Anwalt-Sein rich­tet sich immer zuguns­ten der Per­son, um die es geht. Geset­ze geben dabei den Rah­men und Rück­halt. Und wenn Pfle­ge­kräf­te mer­ken, dass irgend­wo Rech­te ver­letzt wer­den, haben sie nicht nur das Recht, son­dern sogar die Pflicht, dies zur Spra­che zu brin­gen oder Abhil­fe zu schaf­fen (z.B. über das Pfle­ge-Team oder die Heim­auf­sicht, soll­te es in insti­tu­tio­nel­len Kon­tex­ten passieren).

Zusam­men­ge­fasst bie­ten die gesetz­li­chen Rege­lun­gen einen wich­ti­gen Schutz­schirm, aber mit Leben gefüllt wird er erst durch das enga­gier­te Han­deln der Pfle­gen­den vor Ort.

Herausforderungen und Chancen dieser Rolle

Die Rol­le als Anwalt des Pfle­ge­be­dürf­ti­gen ist anspruchs­voll. Pfle­ge­kräf­te bewe­gen sich oft auf einem schma­len Grat zwi­schen ver­schie­de­nen Erwar­tun­gen und Anforderungen:

Her­aus­for­de­run­gen: Zum einen kann das Ein­tre­ten für Pati­en­ten­in­ter­es­sen zu Kon­flik­ten füh­ren. Wenn eine Pfle­ge­kraft bei­spiels­wei­se beim Arzt insis­tiert, dass eine bestimm­te The­ra­pie nicht dem Wil­len des Pati­en­ten ent­spricht, braucht sie diplo­ma­ti­sches Geschick – nicht jeder Arzt reagiert dar­auf sofort posi­tiv. Eben­so kann es mit­un­ter Span­nun­gen mit Ange­hö­ri­gen geben, wenn die Pfle­ge­kraft eine ande­re Ein­schät­zung ver­tritt als die Fami­lie. Es erfor­dert Mut, in heik­len Situa­tio­nen den Mund auf­zu­ma­chen und „Nein, so nicht!“ zu sagen, auch wenn jemand hier­ar­chisch Über­ge­ord­ne­tes betei­ligt ist. Pfle­ge­kräf­te ste­hen hier in einem Span­nungs­feld: Sie haben viel Fach­wis­sen und ken­nen den Men­schen oft sehr gut, aber for­mal dür­fen sie nicht über medi­zi­ni­sche Behand­lun­gen ent­schei­den. Die­se begrenz­te Ent­schei­dungs­be­fug­nis kann frus­trie­rend sein, wenn man doch genau weiß, was der Pfle­ge­be­dürf­ti­ge möch­te. Hin­zu kommt die emo­tio­na­le Belas­tung: Sich stets mit aller Kraft für jemand ande­ren ein­zu­set­zen, kann an die Sub­stanz gehen – beson­ders, wenn man manch­mal gegen Wind­müh­len kämpft oder schwie­ri­ge ethi­sche Ent­schei­dun­gen mit­tra­gen muss. Pfle­ge­kräf­te brau­chen daher auch Selbst­für­sor­ge, um die­se Auf­ga­be lang­fris­tig stem­men zu können.

Chan­cen: Auf der ande­ren Sei­te bie­tet die advo­ka­to­ri­sche Rol­le enor­me Berei­che­rung – sowohl für die Pfle­ge­be­dürf­ti­gen als auch für die Pfle­ge­kräf­te selbst. Für die älte­ren Men­schen macht es einen him­mel­wei­ten Unter­schied, ob da jemand ist, der für sie kämpft. Es erhöht deut­lich die Lebens­qua­li­tät, weil ihre Bedürf­nis­se gehört und erfüllt wer­den, soweit irgend mög­lich. Vie­le Senio­rin­nen und Senio­ren blü­hen rich­tig auf, wenn sie mer­ken: „Mei­ne Mei­nung zählt hier noch, ich habe Rech­te und jemand sorgt dafür, dass ich nicht über­gan­gen wer­de.“ Das Gefühl von Sicher­heit und Wert­schät­zung steigt, was sich oft sogar posi­tiv auf die Gesund­heit aus­wirkt (z.B. weni­ger Stress, bes­se­re Koope­ra­ti­on bei Behandlungen).

Für Pfle­ge­kräf­te bedeu­tet erfolg­rei­ches Für­spre­chen auch Berufs­zu­frie­den­heit. Es ist sinn­stif­tend zu erle­ben, dass man für einen Men­schen etwas bewir­ken konn­te – sei es, dass Frau K. dank der Inter­ven­ti­on nun schmerz­frei ist, oder dass Herr P. sei­nen Lebens­abend wie gewünscht zu Hau­se ver­brin­gen kann, weil man Lösun­gen mit­or­ga­ni­siert hat. Sol­che Erfolgs­er­leb­nis­se bestä­ti­gen den Kern des Pfle­ge­be­rufs und moti­vie­ren unge­mein. Zudem ver­tieft sich die Bezie­hung zwi­schen Pfle­ge­kraft und Pfle­ge­be­dürf­ti­gem: Ver­trau­en und Dank­bar­keit schaf­fen eine mensch­li­che Ver­bin­dung, die weit über eine rein dienst­leis­tungs­ori­en­tier­te Pfle­ge hin­aus­geht. Man wird zur „guten See­le“ der Fami­lie, zur Ver­trau­ten oder zum Ver­trau­ten des Seni­ors – ein Zei­chen, dass man wirk­lich etwas Bedeu­ten­des leistet.

Nicht zu ver­ges­sen: Wenn Pfle­ge­kräf­te ihre advo­ka­to­ri­sche Rol­le wahr­neh­men, trägt das auch zur Ver­bes­se­rung des gesam­ten Pfle­ge­sys­tems bei. Pro­ble­me wer­den eher ange­spro­chen, Miss­stän­de beho­ben, und die Ver­sor­gung ori­en­tiert sich stär­ker an dem, was Men­schen wirk­lich brau­chen. Lang­fris­tig pro­fi­tie­ren davon alle – Pfle­ge­be­dürf­ti­ge, Ange­hö­ri­ge und auch das Gesund­heits­sys­tem, das mensch­li­cher und effi­zi­en­ter wird.

Fazit

Die advo­ka­to­ri­sche Rol­le von Pfle­ge­kräf­ten in der häus­li­chen Alten­pfle­ge kann man bild­lich so zusam­men­fas­sen: Die Pfle­ge­kraft reicht dem älte­ren Men­schen die Hand und sagt „Ich gehe an dei­ner Sei­te“. Sie ist Betreu­ungs­per­son, Orga­ni­sa­to­rin, manch­mal Über­set­ze­rin und immer Für­spre­che­rin im bes­ten Sin­ne. Für ein all­ge­mei­nes Publi­kum mag es über­ra­schend sein, wie viel „Anwalt­li­ches“ im Pfle­ge­all­tag steckt – doch schaut man genau­er hin, wird klar: Ohne die­se Art von Für­spra­che blie­be gute Pfle­ge auf hal­bem Wege ste­hen. Es geht eben nicht nur dar­um, Medi­ka­men­te zu geben oder beim Waschen zu hel­fen, son­dern dar­um, dass der älte­re Mensch sein Leben mit Wür­de, Sicher­heit und mög­lichst nach eige­nen Wün­schen leben kann. Pfle­ge­kräf­te leis­ten dazu einen unschätz­ba­ren Bei­trag, indem sie jeden Tag aufs Neue Herz zei­gen, Hal­tung bewah­ren und sich mutig für die Men­schen stark machen, die ihnen anver­traut sind. Das ist Pfle­ge als Anwalt­schaft – eine Auf­ga­be mit gro­ßer Ver­ant­wor­tung und gro­ßem Her­zen.

Quel­len: Die Inhal­te die­ses Arti­kels basie­ren auf all­ge­mei­nen Prin­zi­pi­en der Pfle­ge­ethik und Pati­en­ten­rech­te sowie auf kon­kre­ten Bei­spie­len und Fach­in­for­ma­tio­nen. Wich­ti­ge Impul­se lie­fer­ten unter ande­rem die Char­ta der Rech­te hil­fe- und pfle­ge­be­dürf­ti­ger Men­schen, pra­xis­be­zo­ge­ne Bei­trä­ge zur Rol­le von Pfle­ge­kräf­ten als Pati­en­ten­an­wäl­te, der ICN-Ethik­ko­dex und Lite­ra­tur zu Ethik in der Pfle­ge sowie Über­blicks­dar­stel­lun­gen zu Pati­en­ten­rech­ten. Die­se Quel­len unter­strei­chen über­ein­stim­mend die Bedeu­tung der Für­spre­cher-Rol­le in der Pfle­ge­pra­xis und lie­fern Bei­spie­le dafür, wie sie im All­tag gelebt wird.

Hinterlassen Sie einen Kommentar