Pflegekräfte als Anwälte ihrer Patienten in der häuslichen Altenpflege
Ältere Menschen, die zu Hause gepflegt werden, befinden sich oft in einer verletzlichen Situation. Viele können ihre Wünsche und Bedürfnisse nicht mehr selbstbewusst äußern – sei es aus gesundheitlichen Gründen, wegen nachlassender geistiger Kräfte oder einfach aus Zurückhaltung. Genau hier kommt die advokatorische Rolle der Pflegekräfte ins Spiel. Dieser Blogartikel beleuchtet verständlich, was es bedeutet, wenn Pflegekräfte in der häuslichen Altenpflege als Fürsprecher ihrer Patienten auftreten, warum das so wichtig ist, wie es im Alltag aussieht und welche Herausforderungen und Chancen damit verbunden sind. Beispiele aus der Praxis und Hinweise auf ethische sowie rechtliche Grundlagen (etwa Patientenrechte) runden das Bild ab.
Was bedeutet „advokatorische Rolle“ in der Pflege?
Der Begriff advokatorisch leitet sich von Advokat (Anwalt) ab. Natürlich sind Pflegekräfte keine Juristen – aber im übertragenen Sinne agieren sie als Anwälte ihrer Patienten. Das heißt, sie setzen sich stellvertretend für die Interessen und Rechte der pflegebedürftigen Person ein und geben ihr eine Stimme, wenn sie selbst nicht gehört wird. Eine Pflegekraft als Fürsprecher sorgt zum Beispiel dafür, dass ein älterer Mensch bei Entscheidungen, die ihn betreffen, mitreden kann, informiert ist und fair behandelt wird. Sie steht dem Pflegebedürftigen zur Seite und handelt in seinem Namen und Einverständnis, um dessen Wünsche und Wohl zu vertreten. Kurz gesagt: Die Pflegekraft nimmt die Perspektive des älteren Menschen ein und vertritt dessen Anliegen gegenüber anderen – ob es Angehörige, Ärzte oder Behörden sind.
Diese Fürsprecher-Rolle erfordert Einfühlungsvermögen, Kommunikationstalent und oft auch Mut. Pflegekräfte müssen genau zuhören, was die Senioren wollen, oder auch nonverbale Signale verstehen, wenn jemand sich nicht klar ausdrücken kann. Sie balancieren zwischen dem Willen des Pflegebedürftigen und dem, was medizinisch oder organisatorisch notwendig erscheint. Wichtig ist: Advokatorisch handeln heißt immer im Sinne des Patienten handeln – und zwar in Abstimmung mit ihm. Es geht nicht darum, über seinen Kopf hinweg zu entscheiden, sondern mit seiner Zustimmung für sein Bestes einzutreten.
Warum ist diese Fürsprecher-Rolle so wichtig?
Ohne eine engagierte Stimme laufen ältere Pflegebedürftige Gefahr, im komplexen Pflege- und Gesundheitssystem übersehen zu werden. Senioren in Pflege haben zwar die gleichen Rechte wie alle anderen Menschen, doch können sie diese in ihrer Lebenssituation oft nicht alleine durchsetzen. Häufig sind sie geschwächt oder kognitiv eingeschränkt und können ihre Bedürfnisse nicht angemessen äußern oder vertreten. Manche scheuen sich auch, „Umstände zu machen“ – speziell die Kriegsgeneration ist oft sehr bescheiden und akzeptiert still, was man ihr zuteilt. Dadurch könnten ihre Wünsche und ihr Wohlergehen zu kurz kommen, wenn niemand für sie eintritt.
Pflegekräfte füllen diese Lücke: Sie achten darauf, dass die Würde, die Interessen und das Wohl des älteren Menschen an erster Stelle stehen. Das ist nicht nur moralisch geboten, sondern auch ein Kern der Pflegeethik. In der Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen wird betont, dass jeder pflegebedürftige Mensch Anspruch auf Respekt, Selbstbestimmung, Sicherheit und Teilhabe hat. Da viele sich häufig nicht selbst vertreten können, tragen Gesellschaft und Fachkräfte eine besondere Verantwortung, ihre Rechte und ihre Würde zu schützen. Genau darum ist die advokatorische Rolle so bedeutsam: Sie ist Schutzmechanismus gegen Vernachlässigung, falsche Entscheidungen oder Missbrauch. Eine Pflegekraft, die als Anwalt ihres Patienten agiert, stellt sicher, dass dieser nicht „überrollt“ wird – weder von bürokratischen Abläufen noch von medizinischen Entscheidungen, die er vielleicht gar nicht will.
Nicht zuletzt schafft diese Rolle Vertrauen. Ältere Menschen – besonders wenn sie krank oder unsicher sind – brauchen jemanden, dem sie vertrauen können. Wenn die Pflegekraft zeigt „Ich stehe auf deiner Seite und sorge dafür, dass du gehört wirst“, stärkt das die Beziehung enorm. Diese vertrauensvolle Verbindung ist oft die Grundlage dafür, dass sich Seniorinnen und Senioren überhaupt öffnen und ihre Wünsche mitteilen. So trägt Fürsprache auch zur seelischen Entlastung bei: Der Pflegebedürftige fühlt sich ernst genommen und sicher aufgehoben, was sich positiv auf sein Wohlbefinden auswirkt.
Fürsprache im Pflegealltag: Wie sieht das konkret aus?
Wie genau tritt eine Pflegekraft im Alltag als Fürsprecher auf? Oft geschieht das in vielen kleinen Situationen, die zusammengenommen einen großen Unterschied machen. Hier einige praxisnahe Beispiele, wie Pflegekräfte in der häuslichen Altenpflege die Interessen und Bedürfnisse ihrer Schützlinge schützen und fördern:
- Wahrung von Würde und Privatheit: Eine engagierte Pflegekraft achtet im Alltag auf scheinbar selbstverständliche Dinge, die aber viel ausmachen. Zum Beispiel sorgt sie dafür, dass die Privatsphäre der Seniorin respektiert wird – etwa indem sie beim Umkleiden oder Waschen die Zimmertür schließt. Sie spricht den älteren Menschen mit Namen und in respektvollem Ton an, bittet um Erlaubnis bevor sie Handlungen vornimmt, und wahrt so die Selbstachtung des Pflegebedürftigen.
- Einbindung in Entscheidungen: Stellen wir uns Herrn M. vor, der 89 Jahre alt ist und zu Hause gepflegt wird. Er soll laut Arzt eine neue Therapie bekommen. Die Pflegekraft erklärt Herrn M. in Ruhe, warum die Behandlung empfohlen wird, welche Vor- und Nachteile sie hat, und fragt nach seiner Meinung. Wenn Herr M. Vorbehalte hat, nimmt sie diese ernst. Angenommen, er entscheidet sich gegen die Therapie – vielleicht aus Angst oder weil er seine Ruhe möchte. Die Pflegekraft wird diese Entscheidung respektieren und gleichzeitig versuchen, ihn bestmöglich über die Konsequenzen aufzuklären. Sie könnte z.B. dem Hausarzt rückmelden: „Herr M. möchte das nicht. Können wir gemeinsam eine Alternative finden?“ Damit stellt sie sicher, dass sein Wille zählt, selbst wenn die medizinische Fachwelt vielleicht anders entschieden hätte.
Pflegekräfte begleiten und unterstützen Senioren im Alltag – und sie vertreten ihre Bedürfnisse gegenüber Dritten. Im häuslichen Umfeld wächst häufig ein enges Vertrauensverhältnis, in dem die Pflegekraft zur Anwältin des älteren Menschen wird.
- Kommunikation mit Ärzten: Häusliche Pflegekräfte sind oft das Bindeglied zwischen Patient und Arzt. Ein praktisches Beispiel: Frau L., 85, hat nach einem Krankenhausaufenthalt Schmerzen, traut sich aber nicht, „schon wieder“ den Arzt anzurufen. Die Pflegekraft merkt das und nimmt ihre Schmerzen ernst. Sie ruft beim Hausarzt an, schildert die Lage und erreicht, dass die Medikation angepasst wird. Hier hat die Pflegekraft für Frau L. gesprochen, damit sie die notwendige Schmerzlinderung bekommt. Ebenso achten Pflegende darauf, dass Ärzt*innen ihre Patienten verständlich aufklären. Sollte ein Arzt im Fachjargon sprechen und der Senior versteht nur Bahnhof, kann die Pflegekraft nachhaken und um einfache Worte bitten oder später dem Pflegebedürftigen alles in Ruhe erklären. So wird gewährleistet, dass der ältere Mensch wirklich informiert zustimmen kann – ein Kernprinzip der Patientenrechte.
- Unterstützung gegenüber Behörden und Organisationen: Im Pflegedschungel mit Pflegekasse, Rezepten, Hilfsmitteln und Formularen blicken viele ältere Menschen nicht durch. Pflegekräfte helfen hier oft quasi als Soziallotse. Sie informieren z.B. darüber, welche Hilfsangebote es gibt (Pflegehilfsmittel, Essen auf Rädern, Wohnraumanpassung etc.) und unterstützen beim Beantragen. Wenn etwas schiefläuft – etwa die Krankenkasse genehmigt eine nötige Leistung nicht – kann die Pflegekraft im Sinne des Pflegebedürftigen widersprechen oder weitere Schritte anregen. Dadurch werden die Rechte des Pflegebedürftigen gegenüber dem System gewahrt, selbst wenn dieser alleine vielleicht kapituliert hätte.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Wichtig ist: Im Alltag zeigt sich die advokatorische Rolle in vielen kleinen Gesten und großen Taten, die alle darauf abzielen, dass der ältere Mensch bestmöglich versorgt ist und seine Wünsche respektiert werden. Oft merken Außenstehende gar nicht, wie viel die Pflegekraft im Hintergrund für „ihren“ Senior regelt und ermöglicht – doch für die Lebensqualität des älteren Menschen ist es unbezahlbar.
Vermittler zwischen Angehörigen, Patient und medizinischem Personal
Ein entscheidender Aspekt der Fürsprecher-Rolle ist die Kommunikation auf Augenhöhe mit Angehörigen und anderen Fachleuten. Häufig sind in der häuslichen Altenpflege die nächsten Verwandten eng eingebunden. Sie wollen – verständlicherweise – das Beste für Mutter, Vater oder Großeltern und treten energisch für deren Belange ein. In gewisser Weise sind engagierte Angehörige selbst Anwälte des Pflegebedürftigen, was eine Zusammenarbeit mit den Pflegekräften enorm bereichern kann, aber auch Konflikte bergen könnte.
Die Pflegekraft nimmt hier eine vermittelnde Position ein: Sie hört den Angehörigen zu, nimmt deren Sorgen ernst und informiert sie transparent über den Zustand und die Pflege des Seniors (natürlich nur in dem Rahmen, dem der Pflegebedürftige zugestimmt hat – Stichwort Schweigepflicht und Datenschutz). Gleichzeitig achtet sie darauf, die Wünsche des Pflegebedürftigen zu vertreten, gerade wenn diese von den Vorstellungen der Familie abweichen. Zum Beispiel könnte ein Sohn darauf drängen, dass der bettlägerige Vater ins Pflegeheim kommt, weil er Angst hat, die häusliche Pflege reiche nicht aus. Wenn aber der Vater ausdrücklich zu Hause bleiben möchte, wird die Pflegekraft das zur Sprache bringen und gemeinsam mit allen Beteiligten nach Lösungen suchen, um den Verbleib daheim doch zu ermöglichen. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt, um zwischen dem Wohl des Pflegebedürftigen und den Entlastungsbedürfnissen der Angehörigen zu balancieren.
Auch gegenüber Ärzten, Therapeuten oder Pflegeberatungsstellen fungieren Pflegekräfte als Sprachrohr ihrer Patienten. Sie übermitteln wichtige Informationen: etwa wenn die Seniorin signalisiert, dass sie gewisse Medikamente nicht verträgt, oder wenn der Alltag zeigt, dass der Pflegeplan angepasst werden muss. Durch diese Rückmeldungen tragen sie dazu bei, dass alle im Betreuungsteam die Perspektive des älteren Menschen kennen und berücksichtigen. Man kann sich die Pflegekraft hier wie ein Scharnier vorstellen, das Patient, Familie und Profi-Team verbindet – damit alle an einem Strang ziehen und Missverständnisse vermieden werden.
Wichtig ist dabei stets eine respektvolle, konstruktive Kommunikation. Eine gute Pflegekraft wird versuchen, Konflikte zu moderieren, nicht anzuheizen. Wenn etwa ein Angehöriger sehr ungehalten Kritik übt (im eingangs erwähnten Beispiel rügte eine Tochter lautstark das Pflegepersonal, weil die Mutter zu trinken brauchte), bleibt die professionelle Pflegekraft ruhig, versucht die Perspektive zu verstehen und Lösungen anzubieten, anstatt in Konfrontation zu gehen. So schafft sie Vertrauen auf allen Seiten. Ihr Ziel bleibt dabei klar: das Beste für den Pflegebedürftigen herauszuholen, im konstruktiven Miteinander mit allen Beteiligten.
Ethische Verantwortung: Das Wohl des Patienten an erster Stelle
Pflegekräfte als Anwälte ihrer Patienten zu sehen, hat eine tiefe ethische Dimension. In der Berufsethik der Pflege – ob in Leitbildern von Pflegediensten, im ICN-Ethikkodex oder anderen berufsethischen Standards – steht der Mensch im Mittelpunkt. Die Würde und das Wohl der anvertrauten Personen zu wahren, ist oberstes Gebot. Für eine Pflegekraft bedeutet das konkret, stets zu fragen: „Was braucht dieser Mensch wirklich? Was wünscht er sich? Und wie kann ich dazu beitragen, dass er die bestmögliche Betreuung erfährt – fachlich kompetent und menschlich zugewandt?“
Zu dieser ethischen Verantwortung gehört auch das Eintreten für die Patientenrechte. Pflegekräfte bekennen sich dazu, die Rechte des Patienten zu wahren und seinen freien Willen anzuerkennen. Praktisch umfasst das z.B. das Recht auf Selbstbestimmung, auf Information und Aufklärung, auf Privatsphäre und darauf, würdevoll behandelt zu werden. Auch wenn Pflegekräfte rechtlich gesehen nicht dieselbe Entscheidungsbefugnis haben wie etwa ein gesetzlicher Betreuer, so sind sie doch Anwälte im moralischen Sinn: Sie achten im Alltag penibel darauf, dass kein Recht mit Füßen getreten wird. Sie würden zum Beispiel nie eine pflegerische Maßnahme gegen den erklärten Willen des Patienten durchführen, außer es besteht akute Gefahr (und selbst dann müsste man juristisch genau hinschauen, was erlaubt ist). Im Zweifelsfall holen sie eine einverständliche Lösung oder offizielle Zustimmung ein, statt einfach überzugehen. Dieses ethische Rückgrat zeichnet gute Pflege aus.
Pflegekräfte übernehmen vielfältige Aufgaben – vom medizinischen bis zum menschlichen Beistand. Ihre ethische Verpflichtung ist es, bei allem Tun das Herzstück nicht zu vergessen: das Wohl und die Würde des Pflegebedürftigen. Als „Anwälte“ ihrer Patienten navigieren sie durch komplexe Pflegesituationen stets mit Blick auf die Interessen des Menschen im Zentrum.
Pflege ist also immer auch ein moralisches Handeln. Es verlangt manchmal, unbequeme Themen anzusprechen – etwa wenn ein älterer Patient in der Endphase seines Lebens andere Prioritäten hat als weitere lebensverlängernde Maßnahmen. Die Pflegekraft muss dann die Autonomie des Patienten respektieren, selbst wenn das heißt, einen Sterbewunsch zu akzeptieren oder palliative Wege zu gehen. Ethische Entscheidungen können schwierig sein, zum Beispiel im Spannungsfeld zwischen Fürsorge und Respekt vor dem Eigenwillen des Pflegebedürftigen. Doch letztlich gilt: Es ist der Wille des Patienten, der maßgeblich ist. Eine Pflegekraft als Fürsprecherin wird daher immer versuchen, diesen Willen zu ergründen und ihm Geltung zu verschaffen – das ist gelebte Achtung der Person.
Gesetzliche Grundlagen: Patientenrechte in der Pflege
Neben ethischen Prinzipien gibt es in Deutschland auch gesetzliche Grundlagen, die die Patientenrechte stärken und an denen sich Pflegekräfte orientieren. Ein Meilenstein war das Patientenrechtegesetz von 2013, das zentrale Rechte von Patientinnen und Patienten ausdrücklich ins Gesetz schrieb. Dazu zählen zum Beispiel: das Recht auf verständliche Information über den Gesundheitszustand sowie über Untersuchungen und Behandlungen, das Recht, Behandlungen nur mit freiwilliger Einwilligung nach ausreichender Aufklärung zu erhalten, und das Recht auf Einsicht in die Pflegedokumentation oder Krankenakte. Auch die Schweigepflicht und der Datenschutz sind gesetzlich verankert – persönliche Gesundheitsdaten müssen vertraulich behandelt werden. Diese gesetzlichen Patientenrechte gelten selbstverständlich auch im Pflegekontext: Jeder Pflegebedürftige hat z.B. das Recht, über Pflegeleistungen aufgeklärt zu werden und ihnen zuzustimmen oder sie abzulehnen.
Für die häusliche Altenpflege sind darüber hinaus das Sozialrecht (SGB XI für Pflegeversicherung, SGB V für häusliche Krankenpflege) und die oben erwähnte Pflege-Charta relevant. Letztere ist zwar „nur“ eine Vereinbarung, aber sie dient als Leitfaden für würdevolle Pflege. Darin ist z.B. festgehalten, dass jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch das Recht auf Selbstbestimmung, auf Schutz vor Gefahren, auf Unterstützung zur Selbsthilfe, auf Wahrung der Privatheit und auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hat. Pflegekräfte sollten diese Rechte kennen und im Alltag aktiv darauf achten, dass sie eingehalten werden. So wird abstraktes Recht zu gelebter Realität: Etwa indem die Pflegekraft organisiert, dass ihre Klientin trotz Pflegebedürftigkeit an der Geburtstagsfeier der Enkel teilnehmen kann (Recht auf Teilhabe), oder indem sie bei möglicher Gefährdung – zum Beispiel Anzeichen von Gewalt oder Vernachlässigung – nicht wegschaut, sondern Meldung macht (Recht auf Unversehrtheit).
Zu nennen ist auch das Recht auf Beschwerden: Pflegebedürftige und Angehörige dürfen Mängel ansprechen, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Professionelle Pflegekräfte unterstützen konstruktiv dabei – beispielsweise indem sie von sich aus regelmäßige Feedback-Gespräche anbieten oder Hinweise geben, wo man sich hinwenden kann (etwa an einen Patientenfürsprecher in Einrichtungen oder an Beratungsstellen). Dieses partnerschaftliche Beschwerdemanagement ist ebenfalls Teil der Advocacy: Es zeigt, dass die Stimme des Patienten zählt und ernstgenommen wird.
In der Praxis kann es vorkommen, dass rechtliche Stellvertreter involviert sind – etwa ein gerichtlich bestellter Betreuer oder jemand mit Vorsorgevollmacht. In solchen Fällen arbeitet die Pflegekraft mit diesen Vertretern zusammen, verliert aber dennoch nicht den eigentlichen Menschen aus dem Blick. Ihr Anwalt-Sein richtet sich immer zugunsten der Person, um die es geht. Gesetze geben dabei den Rahmen und Rückhalt. Und wenn Pflegekräfte merken, dass irgendwo Rechte verletzt werden, haben sie nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, dies zur Sprache zu bringen oder Abhilfe zu schaffen (z.B. über das Pflege-Team oder die Heimaufsicht, sollte es in institutionellen Kontexten passieren).
Zusammengefasst bieten die gesetzlichen Regelungen einen wichtigen Schutzschirm, aber mit Leben gefüllt wird er erst durch das engagierte Handeln der Pflegenden vor Ort.
Herausforderungen und Chancen dieser Rolle
Die Rolle als Anwalt des Pflegebedürftigen ist anspruchsvoll. Pflegekräfte bewegen sich oft auf einem schmalen Grat zwischen verschiedenen Erwartungen und Anforderungen:
Herausforderungen: Zum einen kann das Eintreten für Patienteninteressen zu Konflikten führen. Wenn eine Pflegekraft beispielsweise beim Arzt insistiert, dass eine bestimmte Therapie nicht dem Willen des Patienten entspricht, braucht sie diplomatisches Geschick – nicht jeder Arzt reagiert darauf sofort positiv. Ebenso kann es mitunter Spannungen mit Angehörigen geben, wenn die Pflegekraft eine andere Einschätzung vertritt als die Familie. Es erfordert Mut, in heiklen Situationen den Mund aufzumachen und „Nein, so nicht!“ zu sagen, auch wenn jemand hierarchisch Übergeordnetes beteiligt ist. Pflegekräfte stehen hier in einem Spannungsfeld: Sie haben viel Fachwissen und kennen den Menschen oft sehr gut, aber formal dürfen sie nicht über medizinische Behandlungen entscheiden. Diese begrenzte Entscheidungsbefugnis kann frustrierend sein, wenn man doch genau weiß, was der Pflegebedürftige möchte. Hinzu kommt die emotionale Belastung: Sich stets mit aller Kraft für jemand anderen einzusetzen, kann an die Substanz gehen – besonders, wenn man manchmal gegen Windmühlen kämpft oder schwierige ethische Entscheidungen mittragen muss. Pflegekräfte brauchen daher auch Selbstfürsorge, um diese Aufgabe langfristig stemmen zu können.
Chancen: Auf der anderen Seite bietet die advokatorische Rolle enorme Bereicherung – sowohl für die Pflegebedürftigen als auch für die Pflegekräfte selbst. Für die älteren Menschen macht es einen himmelweiten Unterschied, ob da jemand ist, der für sie kämpft. Es erhöht deutlich die Lebensqualität, weil ihre Bedürfnisse gehört und erfüllt werden, soweit irgend möglich. Viele Seniorinnen und Senioren blühen richtig auf, wenn sie merken: „Meine Meinung zählt hier noch, ich habe Rechte und jemand sorgt dafür, dass ich nicht übergangen werde.“ Das Gefühl von Sicherheit und Wertschätzung steigt, was sich oft sogar positiv auf die Gesundheit auswirkt (z.B. weniger Stress, bessere Kooperation bei Behandlungen).
Für Pflegekräfte bedeutet erfolgreiches Fürsprechen auch Berufszufriedenheit. Es ist sinnstiftend zu erleben, dass man für einen Menschen etwas bewirken konnte – sei es, dass Frau K. dank der Intervention nun schmerzfrei ist, oder dass Herr P. seinen Lebensabend wie gewünscht zu Hause verbringen kann, weil man Lösungen mitorganisiert hat. Solche Erfolgserlebnisse bestätigen den Kern des Pflegeberufs und motivieren ungemein. Zudem vertieft sich die Beziehung zwischen Pflegekraft und Pflegebedürftigem: Vertrauen und Dankbarkeit schaffen eine menschliche Verbindung, die weit über eine rein dienstleistungsorientierte Pflege hinausgeht. Man wird zur „guten Seele“ der Familie, zur Vertrauten oder zum Vertrauten des Seniors – ein Zeichen, dass man wirklich etwas Bedeutendes leistet.
Nicht zu vergessen: Wenn Pflegekräfte ihre advokatorische Rolle wahrnehmen, trägt das auch zur Verbesserung des gesamten Pflegesystems bei. Probleme werden eher angesprochen, Missstände behoben, und die Versorgung orientiert sich stärker an dem, was Menschen wirklich brauchen. Langfristig profitieren davon alle – Pflegebedürftige, Angehörige und auch das Gesundheitssystem, das menschlicher und effizienter wird.
Fazit
Die advokatorische Rolle von Pflegekräften in der häuslichen Altenpflege kann man bildlich so zusammenfassen: Die Pflegekraft reicht dem älteren Menschen die Hand und sagt „Ich gehe an deiner Seite“. Sie ist Betreuungsperson, Organisatorin, manchmal Übersetzerin und immer Fürsprecherin im besten Sinne. Für ein allgemeines Publikum mag es überraschend sein, wie viel „Anwaltliches“ im Pflegealltag steckt – doch schaut man genauer hin, wird klar: Ohne diese Art von Fürsprache bliebe gute Pflege auf halbem Wege stehen. Es geht eben nicht nur darum, Medikamente zu geben oder beim Waschen zu helfen, sondern darum, dass der ältere Mensch sein Leben mit Würde, Sicherheit und möglichst nach eigenen Wünschen leben kann. Pflegekräfte leisten dazu einen unschätzbaren Beitrag, indem sie jeden Tag aufs Neue Herz zeigen, Haltung bewahren und sich mutig für die Menschen stark machen, die ihnen anvertraut sind. Das ist Pflege als Anwaltschaft – eine Aufgabe mit großer Verantwortung und großem Herzen.
Quellen: Die Inhalte dieses Artikels basieren auf allgemeinen Prinzipien der Pflegeethik und Patientenrechte sowie auf konkreten Beispielen und Fachinformationen. Wichtige Impulse lieferten unter anderem die Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen, praxisbezogene Beiträge zur Rolle von Pflegekräften als Patientenanwälte, der ICN-Ethikkodex und Literatur zu Ethik in der Pflege sowie Überblicksdarstellungen zu Patientenrechten. Diese Quellen unterstreichen übereinstimmend die Bedeutung der Fürsprecher-Rolle in der Pflegepraxis und liefern Beispiele dafür, wie sie im Alltag gelebt wird.