Pflege und psychische Erkrankungen: Wann besteht Anspruch auf einen Pflegegrad?
Psychische Erkrankungen sind in unserer Gesellschaft weit verbreitet, doch ihr Einfluss auf den Alltag der Betroffenen wird oft unterschätzt. Während körperliche Einschränkungen sichtbarer sind, können psychische Erkrankungen ebenso gravierende Auswirkungen auf die Selbstständigkeit und die Fähigkeit zur Alltagsbewältigung haben. Doch wann besteht in diesem Zusammenhang ein Anspruch auf einen Pflegegrad?
Psychische Erkrankungen und ihre Auswirkungen auf den Alltag
Zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, die die Selbstständigkeit einschränken, gehören Depressionen, Angststörungen, Schizophrenie, bipolare Störungen sowie posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS). Menschen, die unter diesen Erkrankungen leiden, haben oft Schwierigkeiten mit grundlegenden Alltagsaktivitäten wie Körperpflege, Nahrungsaufnahme oder Haushaltsführung. Auch soziale Interaktionen und die Fähigkeit, Termine einzuhalten oder Medikamente regelmäßig einzunehmen, können stark beeinträchtigt sein.
Kriterien für die Einstufung in einen Pflegegrad
Ein Pflegegrad wird in Deutschland anhand des Neuen Begutachtungsassessments (NBA) durch den Medizinischen Dienst (MD) oder MEDICPROOF (bei privat Versicherten) festgestellt. Dabei wird die Selbstständigkeit in sechs verschiedenen Bereichen bewertet:
- Mobilität (z. B. Aufstehen, Gehen, Treppensteigen)
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten (z. B. Orientierung, Gedächtnis, Verständigung)
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (z. B. Ängste, Aggressionen, depressive Phasen)
- Selbstversorgung (z. B. Waschen, Anziehen, Essen)
- Bewältigung von krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen (z. B. Medikamenteneinnahme, Arztbesuche)
- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (z. B. Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, eigenständige Tagesstrukturierung)
Jeder dieser Bereiche wird mit Punkten bewertet, aus denen sich dann der Pflegegrad ergibt (Pflegegrad 1 bis 5). Besonders relevant für psychische Erkrankungen sind die Bereiche 2, 3, 5 und 6.
Pflegegrad beantragen: So geht’s
- Antrag stellen: Der Antrag auf einen Pflegegrad wird bei der Pflegekasse (Teil der Krankenkasse) gestellt.
- Begutachtung durch den MD oder MEDICPROOF: Ein Gutachter prüft die Selbstständigkeit anhand der oben genannten Kriterien.
- Bescheid erhalten: Nach der Prüfung wird der Pflegegrad festgelegt. Falls der Bescheid nicht den Erwartungen entspricht, kann Widerspruch eingelegt werden.
Besonderheiten bei psychischen Erkrankungen
Während bei körperlichen Erkrankungen die Einschränkungen oft klar ersichtlich sind, ist der Nachweis einer psychischen Erkrankung komplexer. Daher ist eine ausführliche ärztliche Dokumentation entscheidend. Berichte von behandelnden Psychiatern, Therapeuten oder Sozialarbeitern können helfen, den tatsächlichen Unterstützungsbedarf darzulegen. Auch Angehörige oder Pflegepersonen sollten ihre Beobachtungen schildern.
Unterstützung für Betroffene und Angehörige
Betroffene und ihre Angehörigen stehen oft vor großen Herausforderungen. Neben der Beantragung eines Pflegegrads gibt es weitere Unterstützungsangebote, darunter:
- Ambulante Pflege durch Pflegedienste oder Betreuungskräfte
- Tagespflege für psychisch Erkrankte
- Entlastungsangebote für Angehörige
- Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen
Fazit
Psychische Erkrankungen können erheblich in die Selbstständigkeit eingreifen und einen Pflegegrad rechtfertigen. Der Weg dahin ist allerdings nicht immer einfach, da die Einschränkungen oft nicht direkt sichtbar sind. Eine fundierte Dokumentation und ein sorgfältiger Antrag sind essenziell, um die benötigte Unterstützung zu erhalten. Betroffene sollten sich nicht scheuen, professionelle Hilfe und Beratung in Anspruch zu nehmen, um ihre Lebensqualität zu verbessern.