Long COVID und Post-COVID: Diagnostik, Behandlung und Stigmatisierung
Long COVID (häufig definiert als Symptome, die länger als 4 Wochen nach einer COVID-19-Infektion anhalten) und das Post-COVID-Syndrom (anhaltende Beschwerden über >12 Wochen nach der Infektion) stellen Mediziner und Betroffene vor große Herausforderungen. Schätzungen zufolge entwickeln etwa 10–15 % der Infizierten anhaltende Symptome in diesem Sinne. Dies betrifft weltweit Millionen Menschen – allein die WHO geht in Europa von rund 17 Millionen Long-COVID-Fällen aus (Von Long Covid aus dem Leben gerissen: Womit Betroffene zu kämpfen haben | Sonntags). Im Folgenden beleuchten wir die medizinische Diagnostik, mögliche Behandlungsansätze sowie psychosoziale Auswirkungen und Stigmatisierung im Zusammenhang mit Long- und Post-COVID.
Medizinische Diagnosen
Häufige Symptome von Long COVID und Post-COVID
Long/Post-COVID kann eine Vielzahl von Symptomen verursachen, die oft unterschiedlich kombiniert auftreten. Zu den häufigsten Beschwerden zählen laut WHO: Erschöpfung (Fatigue), Kurzatmigkeit sowie kognitive Probleme wie Konzentrationsstörungen oder Vergesslichkeit (Diagnose Long Covid: So wird es festgestellt). Daneben werden in Studien zahlreiche weitere Symptome regelmäßig beobachtet, zum Beispiel:
- Chronische Müdigkeit und Schwäche (anhaltende Fatigue)
- Husten und Brustschmerzen
- Glieder‑, Gelenk- und Muskelschmerzen
- Geruchs- und Geschmacksstörungen (Thema: Long COVID und Post COVID: Diagnose und Behandlung: Kassenärztliche Vereinigung Berlin)
- Kopfschmerzen, Schwindel oder Schlafstörungen
Diese Beschwerden können isoliert oder in Kombination auftreten und in ihrer Intensität schwanken. Wichtig ist: Nicht jede*r Long-COVID-Betroffene hat alle Symptome, und umgekehrt schließen einzelne solcher Symptome nicht automatisch auf Long COVID – sie können auch andere Ursachen haben.
Diagnostische Kriterien und Methoden
Ein zentrales Kriterium für die Diagnose ist der zeitliche Zusammenhang mit einer durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion. Treten Symptome vier Wochen nach Infektion noch immer auf oder neu auf, spricht man von Long COVID; ab drei Monaten andauernder Beschwerden, die sich nicht anders erklären lassen, wird von Post-COVID-Syndrom gesprochen (Von Long Covid aus dem Leben gerissen: Womit Betroffene zu kämpfen haben | Sonntags). Ärzte orientieren sich dabei an Leitlinien und Ausschlussdiagnosen: Zunächst wird geprüft, ob eine Person COVID-19 hatte (PCR-Test, Antikörper oder gesicherte Infektion in der Vorgeschichte). Dann werden andere Ursachen der Beschwerden systematisch ausgeschlossen, bevor Long/Post-COVID als Arbeitsdiagnose gestellt wird (Diagnose Long Covid: So wird es festgestellt).
Ein einfacher Labortest oder Biomarker, der Long COVID eindeutig nachweist, existiert bisher nicht (Long COVID: Hilfreiche Informationen für Betroffene, Angehörige und Interessierte) (Ende der Stigmatisierung? — Durchbruch in Long-Covid-Forschung: Diagnose soll möglich werden — News — SRF). Stattdessen stützen sich Mediziner auf eine gründliche Anamnese (Erhebung der Krankengeschichte und Symptomdauer) und klinische Untersuchungen. Je nach Beschwerdebild können verschiedene Diagnostikmaßnahmen zum Einsatz kommen – etwa Lungenfunktionstests bei Atemnot, kardiologische Untersuchungen bei Herzsymptomen, neurologische Tests bei kognitiven Störungen usw. Ergänzend kommen Fragebögen (z.B. Fatigue-Skalen) und standardisierte Tests zum Einsatz, um die Symptome objektiv zu erfassen (Diagnose Long Covid: So wird es festgestellt). Wichtig ist hierbei immer, organische Ursachen (z.B. Herz- oder Lungenerkrankungen) auszuschließen, da Long COVID eine Ausschlussdiagnose bleibt (Long COVID: Hilfreiche Informationen für Betroffene, Angehörige und Interessierte).
Herausforderungen bei der Diagnose
Die Diagnose Long/Post-COVID ist in der Praxis schwierig und mit Unsicherheiten behaftet. Die Symptome sind oft unspezifisch und überschneiden sich mit vielen anderen Erkrankungen (etwa mit Depression, Angststörung oder dem Chronischen Fatigue-Syndrom ME/CFS) (Diagnose Long Covid: So wird es festgestellt). Weil kein einzelner Biomarker verfügbar ist, kann die Erkrankung nur indirekt festgestellt werden – durch Kombination von Symptomdauer, Ausschluss anderer Ursachen und dem bekannten COVID-Infekt in der Vorgeschichte (Ende der Stigmatisierung? — Durchbruch in Long-Covid-Forschung: Diagnose soll möglich werden — News — SRF). Das erschwert die Diagnosestellung und führt leider nicht selten dazu, dass Betroffene lange auf eine klare Diagnose warten. Besonders problematisch ist, wenn die ursprüngliche Corona-Infektion vielleicht gar nicht mittels Test nachgewiesen wurde – dann fehlt oft der „Beweis“, was die Anerkennung der Langzeitfolgen zusätzlich erschwert.
Hinzu kommt, dass Long COVID in seiner Ausprägung sehr heterogen ist: Zwei Patienten können vollkommen unterschiedliche Symptomkombinationen haben. Diese Variabilität erfordert oft eine interdisziplinäre Abklärung – Hausärzte beziehen je nach Symptomatik Lungenärzte, Neurologen, Kardiologen oder andere Fachrichtungen mit ein. Viele Kliniken und Zentren haben spezielle Post-COVID-Ambulanzen eingerichtet, um komplexe Fälle zu bündeln. Trotzdem bleibt die Diagnose in manchen Fällen eine Herausforderung, und sowohl Patienten als auch Ärzte müssen mit einer gewissen Unsicherheit umgehen. Wichtig ist, dass Betroffene ernst genommen werden und eine sorgfältige medizinische Abklärung erhalten, auch wenn der Weg zur Diagnose mitunter langwierig ist.
Behandlungsmöglichkeiten
Medikamentöse Therapieansätze
Bislang gibt es keine spezifische medikamentöse Therapie, die die Ursache von Long- oder Post-COVID heilen kann. Die Behandlung richtet sich daher in erster Linie symptomorientiert nach den individuellen Beschwerden der Patient*innen (Long COVID: Hilfreiche Informationen für Betroffene, Angehörige und Interessierte). Das bedeutet: Je nachdem, welche Organsysteme betroffen sind, kommen unterschiedliche Medikamente zum Einsatz. Beispiele sind etwa Inhalationsmedikamente bei anhaltenden Atemproblemen (ähnlich wie bei Asthma oder COPD), Schmerzmittel oder entzündungshemmende Medikamente bei Muskel- und Gelenkschmerzen, oder Medikamente zur Kreislaufstabilisierung (z.B. bei orthostatischen Problemen und Herzrasen). In einigen Fällen werden Kortikosteroide (Kortison) erprobt, um überschießende Entzündungsreaktionen zu dämpfen – hierzu laufen derzeit Studien (Long COVID Studie | Universitätsklinikum Tübingen — uni-tuebingen.de) (Neue Medikamentenstudie bei Long Covid — Gesundheitsindustrie BW). Auch die Gabe von hochdosierten Vitaminen (z.B. Vitamin B‑Komplex zur Unterstützung der Nerven) wird erforscht (Long COVID Studie | Universitätsklinikum Tübingen — uni-tuebingen.de). Grundsätzlich stammen alle derzeit eingesetzten Medikamente aus anderen Indikationen (es werden also bekannte Arzneien off-label bei Long COVID getestet). Welche Medikamente im Einzelfall helfen, variiert stark; oft ist es ein Ausprobieren unter ärztlicher Aufsicht, um die bestmögliche Linderung zu erzielen.
Ein wichtiger Punkt: Da Long COVID vermutlich unterschiedliche biologische Ursachen haben kann (siehe unten), sprechen nicht alle Betroffenen auf dieselben Medikamente an. Ein Mittel, das einer Person hilft, kann bei einer anderen wirkungslos bleiben. Trotzdem gibt es weltweit intensive Forschungsbemühungen, wirksame Therapien zu identifizieren – derzeit werden in Projekten über 61 verschiedene Medikamente gegen Long/Post-COVID untersucht (Aktueller Stand: Medikamente bei Long-Covid). Bis belastbare Daten vorliegen, bleibt die medikamentöse Behandlung jedoch individualisiert und auf die Kontrolle der jeweiligen Symptome begrenzt (Long COVID: Hilfreiche Informationen für Betroffene, Angehörige und Interessierte).
Physiotherapie, Ergotherapie und alternative Behandlungen
Rehabilitative Therapien spielen bei Long-COVID eine zentrale Rolle. Viele Patient*innen profitieren von Physiotherapie, um körperliche Funktionen wiederherzustellen – zum Beispiel Atemübungen bei Luftnot oder behutsames Ausdauertraining bei Fatigue (unter Anleitung, um Überlastung zu vermeiden). Ergotherapie kann helfen, im Alltag wieder besser zurechtzukommen, insbesondere bei kognitiven Problemen (sogenanntes Hirnleistungstraining oder Konzentrationsübungen) und beim Energiemanagement. Ein Stichwort in diesem Zusammenhang ist „Pacing“: Betroffene lernen, ihre verfügbare Energie klug einzuteilen und Aktivität und Ruhe in einem ausgewogenen Rhythmus abzuwechseln, um Erschöpfungs-Krisen vorzubeugen (Neue Studie der Charité und des Max Delbrück Centers: Erkenntnisse zu ME/CFS bei Long-COVID-Betroffenen | BMG-Initiative Long COVID). Solche Strategien aus der Behandlung von ME/CFS werden zunehmend auch Long-COVID-Patienten vermittelt.
Neben Physio- und Ergotherapie gibt es weitere unterstützende Ansätze. Manche Betroffene berichten über Linderung durch Entspannungstechniken (wie Yoga, Meditation oder Atemtherapie), die helfen können, Nervensystem und Atmung zu beruhigen. Auch Massagen oder manuelle Therapien können Muskelverspannungen und Schmerzen mildern. Einige Reha-Kliniken setzen innovative Methoden ein – etwa Ausdauertraining unter Hypoxie/Hyperoxie-Bedingungen (Intervall-Höhenlufttraining), welches in einer kleinen Studie positive Effekte auf Long COVID zeigte (Studie von MEDIAN zeigt: Intermittierende Hypoxie … — MEDIAN Kliniken). Wichtig ist jedoch: Nicht jede Therapie ist für jede Person geeignet (Long COVID: Hilfreiche Informationen für Betroffene, Angehörige und Interessierte). Oft muss individuell ausprobiert werden, was hilft.
Auch alternative Heilmethoden werden teils angewandt oder diskutiert, etwa die Einnahme bestimmter Nahrungsergänzungsmittel (Vitamin D, Omega-3-Fettsäuren etc.) zur Unterstützung der Genesung. Die wissenschaftliche Evidenz hierfür ist bislang begrenzt, doch einige Betroffene probieren solche Ansätze aus, meist ergänzend zu schulmedizinischen Maßnahmen. Grundsätzlich sollte jede Behandlung – auch alternative – mit den behandelnden Ärzten abgestimmt werden. Eine engmaschige Betreuung (z.B. in Form einer ambulanten Reha oder Long-COVID-Spezialsprechstunde) hilft, die Therapiemaßnahmen zu koordinieren und den Fortschritt zu überwachen (Long COVID: Hilfreiche Informationen für Betroffene, Angehörige und Interessierte) (Diagnose Long Covid: So wird es festgestellt).
Psychosoziale Unterstützung und Rehabilitationsmaßnahmen
Weil Long COVID oft alle Lebensbereiche betrifft, sind psychosoziale und rehabilitative Unterstützungsangebote essenziell. Viele Patientinnen und Patienten nehmen an medizinischer Rehabilitation (Reha) teil – entweder ambulant oder stationär. In solchen Reha-Maßnahmen wird multiprofessionell gearbeitet: Ärztinnen, Physio- und Ergotherapeutinnen, Psychologinnen und Sozialarbeiterinnen erstellen gemeinsam einen Therapieplan, um sowohl körperliche als auch seelische Aspekte anzugehen. Hier können verschiedene Behandlungen kombiniert werden, z.B. Ausdauertraining, Atemschule, Entspannungsverfahren und psychologische Gespräche. Die Deutsche Rentenversicherung und andere Träger haben spezielle Post-COVID-Reha-Programme aufgelegt, die Betroffenen helfen sollen, Schritt für Schritt wieder leistungsfähiger zu werden (Long COVID: Hilfreiche Informationen für Betroffene, Angehörige und Interessierte).
Darüber hinaus ist die psychosoziale Unterstützung im Alltag wichtig. Viele Krankenkassen bieten Beratungen oder sogar Online-Programme für Long-COVID-Betroffene an. Ein wertvolles Angebot sind Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen kann Isolation entgegenwirken und praktische Tipps vermitteln. Bundesweite Stellen wie NAKOS oder die BAG Selbsthilfe bieten Übersichten, wo solche Gruppen zu finden sind. Auch psychotherapeutische Unterstützung kann angezeigt sein (siehe unten) – nicht weil Long COVID „psychisch“ wäre, sondern um den Umgang mit der Belastung zu erleichtern. Wichtig ist, dass Patient*innen niedrigschwellig Hilfe erhalten, z.B. in Form von Beratung zu Sozialleistungen oder beruflicher Rehabilitation, falls die Erkrankung länger andauert.
Nicht zuletzt müssen oft Arbeitsplatzanpassungen erfolgen, um eine schrittweise Rückkehr ins Berufsleben zu ermöglichen. Arbeitgeber können etwa Schonarbeitsplätze anbieten, Home-Office ermöglichen oder eine stufenweise Wiedereingliederung vereinbaren. Für Schüler, Studierende oder Auszubildende gibt es die Möglichkeit von Nachteilsausgleichen (z.B. mehr Zeit für Prüfungen) (Long COVID: Hilfreiche Informationen für Betroffene, Angehörige und Interessierte). All diese Maßnahmen fallen unter eine ganzheitliche Behandlung, die nicht nur die medizinischen Symptome, sondern auch die soziale Teilhabe der Betroffenen im Blick hat.
Psychosoziale Aspekte
Auswirkungen auf Psyche und Lebensqualität
Die anhaltenden körperlichen Symptome von Long/Post-COVID wirken sich oft stark auf die Psyche und die Lebensqualität der Betroffenen aus. Viele erleben durch die dauerhafte Erschöpfung und Leistungsgrenzen Gefühle von Frustration, Ohnmacht oder Traurigkeit. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Long-COVID-Patient*innen im Verlauf eine Depression oder Angststörung entwickeln – Studien legen nahe, dass das Risiko dafür erhöht ist (Science Bite: Long COVID — Presse — DGPPN). Gründe sind zum einen biologische Faktoren (etwa neuroinflammatorische Prozesse im Gehirn), zum anderen die belastende Erfahrung, plötzlich nicht mehr der “Alte” zu sein und Alltägliches nicht mehr bewältigen zu können. Schlafstörungen und chronische Schmerzen, die häufig dazugehören, können die psychische Verfassung weiter beeinträchtigen.
Die Lebensqualität ist bei vielen Betroffenen deutlich reduziert. Aktivitäten, die früher selbstverständlich waren – Spaziergänge, Hobbys, Treffen mit Freunden – sind plötzlich nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich. Ein Großteil der Energie fließt in grundlegende Dinge wie Körperpflege, Haushalt oder Arztbesuche. Soziale Kontakte leiden darunter; viele fühlen sich isoliert und zurückgezogen, was die Stimmung zusätzlich trüben kann. Besonders bei jüngeren Menschen kann Long COVID wie ein harter Einschnitt ins Leben wirken: Pläne müssen verschoben oder aufgegeben werden, was emotional sehr belastend ist.
Positiv ist, dass psychologische Unterstützung hier Abhilfe schaffen kann. Psychotherapeut*innen betonen, dass Long COVID eine körperliche Erkrankung ist, man aber lernen muss, psychisch mit den neuen Grenzen zu leben (Von Long Covid aus dem Leben gerissen: Womit Betroffene zu kämpfen haben | Sonntags). Techniken aus der Schmerztherapie oder der Behandlung chronischer Krankheiten kommen zum Einsatz: z.B. das Entwickeln von Coping-Strategien, Aufbau eines neuen Alltagsrhythmus und Akzeptanztraining, um besser mit der Situation umzugehen. Auch Antidepressiva oder angstlösende Medikamente können je nach individueller Lage vorübergehend hilfreich sein, sollten aber immer im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans betrachtet werden.
Herausforderungen im Arbeitsleben und soziale Teilhabe
Für viele Betroffene ist die Rückkehr in den Beruf eine große Herausforderung. Während einige mit mildem Long COVID nach einigen Wochen wieder normal arbeiten können, sind andere über Monate oder länger arbeitsunfähig. Symptome wie Fatigue und Konzentrationsstörungen führen dazu, dass ein ganzer Arbeitstag kaum zu schaffen ist. Hinzu kommt, dass Long COVID oft ein Auf und Ab ist – an einem Tag fühlt man sich besser, am nächsten zwingen einen Schwindel oder Erschöpfung wieder zur Ruhe. Diese Unvorhersehbarkeit macht es schwierig, sich auf die Anforderungen des Jobs einzustellen. Viele reduzieren ihre Stunden oder müssen vorerst krankgeschrieben bleiben; in schweren Fällen steht sogar die Frage einer Berufsunfähigkeit im Raum.
Auch im sozialen Leben treten Einschränkungen auf. Treffen mit Freunden, Familienfeiern oder Freizeitaktivitäten werden seltener, weil die Kraft fehlt oder man sich wegen möglicher Symptome nicht verlässlich verabreden kann. Wie eine Psychotherapeutin berichtet, werden Betroffene durch die Krankheit oft sozial isoliert, das Pflegen von Freundschaften „wird schwierig“. Dadurch fühlen sich viele alleingelassen mit ihrem Schicksal. Gerade junge und zuvor aktive Menschen kämpfen mit dem Gefühl, „aus dem Leben gerissen“ worden zu sein (Von Long Covid aus dem Leben gerissen: Womit Betroffene zu kämpfen haben | Sonntags). Diese soziale Isolation kann wiederum negative Folgen für die psychische Gesundheit haben.
Um die Teilhabe dennoch zu erhalten, sind Anpassungen und Verständnis im Umfeld enorm wichtig. Im Arbeitsleben helfen flexible Lösungen wie Teilzeit, Home-Office oder eine graduelle Steigerung der Arbeitsbelastung, damit Betroffene ihre Leistungsfähigkeit langsam zurückgewinnen können. Im privaten Bereich können Freunde und Familie Unterstützung bieten, indem sie z.B. Besuche kurz halten, Rücksicht auf Fatigue nehmen oder praktische Hilfe im Alltag leisten. Viele Betroffene vernetzen sich online in Communities oder Selbsthilfegruppen, um trotz allem soziale Verbundenheit zu erleben und nicht den Kontakt zur Außenwelt zu verlieren (Long COVID: Hilfreiche Informationen für Betroffene, Angehörige und Interessierte). Langfristig ist es für die Gesellschaft wichtig zu erkennen, dass Long COVID-Patient*innen zwar unsichtbare, aber dennoch reale Einschränkungen haben – mit entsprechendem Entgegenkommen können sie am sozialen Leben teilnehmen, auch wenn es in angepasster Form sein mag.
Stigmatisierung
Erfahrungen von Betroffenen mit Vorurteilen und Ablehnung
Leider berichten viele Long- und Post-COVID-Betroffene, dass sie neben den gesundheitlichen Problemen auch mit Vorurteilen und Unglauben konfrontiert sind. Da ihre Symptome äußerlich oft nicht sichtbar sind und die Krankheit noch relativ neu ist, stoßen sie nicht immer auf Verständnis. Einige Patienten hören Sätze wie „Du siehst doch gar nicht krank aus“ oder „Das wird wohl psychisch sein“. Tatsächlich kommt es vor, dass Long COVID falsch als psychosomatische Störung abgetan wird (Von Long Covid aus dem Leben gerissen: Womit Betroffene zu kämpfen haben | Sonntags). Ärztliche Fehldiagnosen in Richtung Depression oder Angststörung – obwohl die Ursache organisch ist – sind keine Seltenheit (Science Bite: Long COVID — Presse — DGPPN) (Science Bite: Long COVID — Presse — DGPPN). Für die Betroffenen bedeutet das zusätzlichen seelischen Stress: Sie fühlen sich mit ihren realen Beschwerden nicht ernst genommen und stigmatisiert, als wäre alles „nur Einbildung“ (Science Bite: Long COVID — Presse — DGPPN).
Stigmatisierung zeigt sich in verschiedenen Bereichen. Im Arbeitsleben haben einige Betroffene Angst, als „faul“ oder „unmotiviert“ zu gelten, wenn sie wegen Long COVID lange ausfallen oder nur eingeschränkt belastbar sind. Kolleg*innen oder Vorgesetzte verstehen mitunter nicht, warum man nach einer eigentlich überstandenen Infektion monatelang nicht leistungsfähig ist. In solchen Fällen kann unterschwelliges Misstrauen oder Druck entstehen, was die Rückkehr an den Arbeitsplatz weiter erschwert. Auch im Freundes- und Familienkreis erleben manche Unverständnis – etwa, wenn Bekannte die Ernsthaftigkeit der Krankheit infrage stellen oder ungeduldig reagieren, nach dem Motto: „Jetzt ist doch genug Zeit vergangen, nun reiß dich zusammen“. Solche Aussagen mögen gut gemeint sein, gehen aber an der Realität der Erkrankung vorbei und können die Betroffenen verletzen.
Auch im Gesundheitssystem selbst fühlen sich viele Long-COVID-Patientinnen stigmatisiert. Da objektive Befunde oft fehlen, berichten sie von Ärzten, die ihre Schilderungen nicht ganz ernst nehmen oder vorschnell auf die psychische Schiene schieben. Wie Experten betonen, geht leider „eine psychische Diagnose immer noch häufig mit einer gewissen Stigmatisierung einher“ – manche Fachkollegen aus somatischen Fächern betrachten Long-COVID-Symptome dann nicht mehr als ernstzunehmende organische Beschwerden. In der Folge leiden die Betroffenen zusätzlich unter dem Gefühl, dass man ihre Krankheit abtut (Science Bite: Long COVID — Presse — DGPPN). Dieses Erleben von Ablehnung und Zweifel seitens der Umwelt kann das Krankheitsgefühl verstärken und dazu führen, dass sich Patientinnen weiter zurückziehen.
Fehlendes Verständnis in Gesellschaft und Gesundheitssystem
Die Stigmatisierung von Long COVID hängt eng mit einem fehlenden Verständnis der Erkrankung in weiten Teilen der Gesellschaft zusammen. Anfangs war Long COVID wenig bekannt, und bis heute gibt es keine eindeutigen Diagnosemarker – das führte bei manchen dazu, Long COVID als „Mode-Diagnose“ oder psychosomatischen Trend abzutun. Medienberichte über milde Verläufe von COVID-19 tragen womöglich dazu bei, dass die Öffentlichkeit die möglichen Langzeitfolgen unterschätzt. Vielen ist nicht bewusst, wie ernst und einschränkend Long COVID sein kann. Dadurch fehlt es manchmal an Empathie: Etwa wenn eine Mitarbeiterin länger ausfällt, wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, ob da wirklich etwas dahintersteckt, oder Bekannte fragen, ob man sich das vielleicht einbildet.
Im Gesundheitssystem zeigt sich das fehlende Verständnis z.B. darin, dass lange nicht klar war, wer für Long-COVID-Patienten zuständig ist – Hausarzt, Spezialist, Psychologe? Diese Unsicherheit spüren die Erkrankten. Zudem gibt es Berichte, dass Anträge auf Reha oder Kur zunächst abgelehnt wurden, weil die Leidensschwere unterschätzt wurde. Versicherungen und soziale Absicherungssysteme standen ebenfalls vor neuen Fragen: Ist Long COVID eine anerkannte Berufskrankheit (etwa für medizinisches Personal)? Wie bewertet man die Erwerbsfähigkeit, wenn jemand zwar nicht akut krank im klassischen Sinne ist, aber dennoch nicht voll arbeitsfähig? Diese Lücken im System führen teils dazu, dass Betroffene sich alleine durchkämpfen müssen, um Leistungen oder Unterstützung zu erhalten, was das Gefühl verstärkt, nicht verstanden zu werden.
Glücklicherweise wächst das Verständnis mit der Zeit. Immer mehr Studien belegen, dass Long COVID kein Randphänomen ist, sondern viele Menschen betrifft und objektive Veränderungen im Körper damit einhergehen (Long COVID Studie: Blutwerte zeigen Umprogrammierung von Immunzellen an | News | Universitätsmedizin Halle). In Deutschland und weltweit werden Informationskampagnen gestartet, um Ärzte zu schulen und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Dennoch bleibt viel zu tun, um das gesellschaftliche Bewusstsein zu schärfen. Long COVID zeigt Parallelen zu ME/CFS, einer chronischen Erkrankung, die ebenfalls lange verkannt und stigmatisiert wurde. Aus diesen Erfahrungen lernt man nun hoffentlich: frühe Anerkennung der Krankheit und Empathie den Betroffenen gegenüber sind entscheidend, um Stigma zu vermeiden.
Maßnahmen zur Aufklärung und Sensibilisierung
Um der Stigmatisierung entgegenzuwirken, sind verschiedene Maßnahmen notwendig. Zunächst einmal braucht es Aufklärung: Sowohl die allgemeine Bevölkerung als auch medizinisches Personal müssen besser über Long und Post COVID informiert werden – über die mögliche Schwere, die Symptome und die Tatsache, dass es echte physische Hintergründe gibt. Gesundheitsbehörden und Patientenorganisationen haben bereits begonnen, Info-Material bereitzustellen, z.B. Ratgeber, Websites (wie die BMG-Initiative „Long COVID“ in Deutschland) und Medienberichte, die authentische Patientengeschichten zeigen. Solche Geschichten – etwa von vormals topfitten Menschen, die nun monatelang ans Bett gefesselt sind – helfen, Vorurteile abzubauen und Mitgefühl aufzubauen.
In der medizinischen Community wird daran gearbeitet, Leitlinien und Fortbildungen bereitzustellen, damit Hausärzte und Fachärzte Long COVID erkennen und adäquat behandeln. Wenn Ärztinnen und Ärzte die Erkrankung ernst nehmen und den Patient*innen das Gefühl geben, gehört zu werden, wirkt das dem Stigma im Behandlungszimmer entgegen. Einige Krankenhäuser haben interdisziplinäre Long-COVID-Teams eingerichtet, was ein Signal sendet: Hier handelt es sich um ein anerkanntes Krankheitsbild. Auch in Betrieben kann Sensibilisierung helfen – etwa durch Betriebsärzte, die über Long COVID informieren, oder durch Vorgesetzte, die offen mit dem Thema umgehen und Mitarbeiter ermutigen, offen über anhaltende Beschwerden zu sprechen, statt sie zu verheimlichen aus Angst vor Karriere-Nachteilen.
Nicht zuletzt spielen Betroffenenorganisationen eine wichtige Rolle. Gruppen wie Long COVID Deutschland (oder international Patient-Led Research etc.) machen durch Öffentlichkeitsarbeit auf die Probleme aufmerksam und kämpfen für Anerkennung. Projekte wie StiMECO untersuchen gezielt die Folgen von Stigmatisierung bei ME/CFS und Post-COVID, um Strategien zu deren Abbau zu entwickeln (Stigmatisierung von ME/CFS und Post-COVID und ihre Auswirkungen auf Qualität und Kosten der Gesundheitsversorgung (StiMECO) | BMG). Solche Forschung und der Einbezug von Betroffenen in Expertenrunden tragen dazu bei, strukturelle Stigmata abzubauen. Ziel aller Bemühungen muss sein, Long COVID in Gesellschaft und Medizin so zu verankern, dass Erkrankte ohne Vorbehalte die Hilfe bekommen, die sie brauchen – frei von Stigma und mit voller Empathie.
Wissenschaftliche Erkenntnisse
Aktuelle Studien und Forschungsergebnisse
Long- und Post-COVID sind noch junge Krankheitsbilder, und die Forschung dazu läuft auf Hochtouren. In den letzten zwei Jahren wurden weltweit zahlreiche Studien veröffentlicht, die versuchen, die Ursachen und Auswirkungen besser zu verstehen. Dabei kristallisiert sich heraus, dass Long COVID multifaktoriell ist – es gibt vermutlich nicht die eine Ursache, sondern verschiedene Mechanismen, die zu anhaltenden Symptomen führen können. Aktuelle Untersuchungen deuten auf einige vielversprechende Erkenntnisse hin:
- Immunologische Veränderungen: Viele Studien finden bei Long-COVID-Patienten auffällige Muster im Immunsystem. Beispielsweise wurden erhöhte Werte bestimmter Entzündungsmarker (Zytokine) im Blut nachgewiesen. Eine deutsche Forschungsgruppe fand Hinweise auf eine Umprogrammierung von Immunzellen (Monozyten/Makrophagen), die auf eine anhaltende Fehlregulation hindeutet. Interessanterweise identifizierten sie dabei verschiedene Subgruppen von Long COVID – was erklärt, warum nicht alle Patienten das gleiche immunologische Profil zeigen. Zudem wurde in einigen Fällen das Spike-Protein des Virus noch Monate nach Infektion im Blut gefunden, insbesondere bei Betroffenen mit Long COVID (Long COVID Studie: Blutwerte zeigen Umprogrammierung von Immunzellen an | News | Universitätsmedizin Halle). Dies stützt die Hypothese einer persistierenden Viruspräsenz oder viralen Antigenreste im Körper, auch wenn kein vermehrungsfähiges Virus mehr vorhanden ist.
- Autoimmunreaktionen: Es mehren sich Hinweise, dass Long COVID in einigen Fällen durch Autoimmunprozesse getriggert wird. Das Immunsystem könnte sich durch die Infektion fehlgeleitet haben und nun körpereigene Strukturen angreifen. So wurden bei einem Teil der Patienten Autoantikörper gegen bestimmte Rezeptoren oder Gewebe entdeckt. Ein bekannt gewordenes Beispiel sind Autoantikörper gegen G‑Protein-gekoppelte Rezeptoren, die möglicherweise Symptome wie Kreislaufprobleme und Fatigue mitverursachen (diese Erkenntnis stammt u.a. aus einem individuellen Heilversuch mit dem Medikament BC 007, das solche Autoantikörper neutralisiert; die Ergebnisse sind aber noch nicht eindeutig). Auch Parallelen zu ME/CFS – das oft postinfektiös auftritt – deuten auf autoimmun-ähnliche Mechanismen hin. Forscher vermuten, dass verschiedene „schlafende“ Viren (wie Epstein-Barr-Virus) durch COVID reaktiviert werden könnten und dann Autoimmunprozesse anstoßen.
- Durchblutungsstörungen und Gewebeschäden: Ein weiterer Forschungsstrang untersucht, ob Mikrothrombosen (winzige Blutgerinnsel) und Gefäßschäden nach COVID eine Rolle spielen. Es gibt die Theorie, dass kleinste Blutgerinnsel in Kapillaren verbleiben und dadurch die Sauerstoffversorgung in bestimmten Geweben beeinträchtigen. Das könnte chronische Müdigkeit und kognitive Probleme erklären. Ebenso wird erforscht, ob das Virus an bestimmten Organen anhaltende Schäden hinterlässt – etwa an den Mitochondrien (den „Kraftwerken“ der Zellen) oder am vagusnerv (der viele Organfunktionen steuert) (Aktueller Stand: Medikamente bei Long-Covid). Solche Schäden könnten zu einer Art Dauerstressreaktion im Körper führen. Ein internationales Forscherteam aus Zürich konnte kürzlich Biomarker im Blut identifizieren (u.a. bestimmte Immunzellen und Entzündungsfaktoren), die Long-COVID-Patienten von Gesunden unterscheiden (Ende der Stigmatisierung? — Durchbruch in Long-Covid-Forschung: Diagnose soll möglich werden — News — SRF). Diese Entdeckung, publiziert 2024 in Science, weckt Hoffnung, dass man Long COVID in Zukunft objektiv diagnostizieren kann – was einen Durchbruch darstellen würde, da bis dato die Diagnose wie erwähnt nur klinisch möglich ist.
- Neurologische und psychische Folgen: Studien zeigen, dass Long COVID auch neuropsychiatrische Spuren hinterlassen kann. Bildgebende Verfahren (MRT) fanden z.B. in einigen Fällen leichte Veränderungen im Gehirn, etwa in Bereichen, die für Gedächtnis und Geruchssinn zuständig sind. Auch wenn die genauen Zusammenhänge noch unklar sind, laufen Untersuchungen dazu, ob das Virus direkt Nervenzellen schädigen oder Entzündungen im Gehirn auslösen kann. Epidemiologische Daten deuten darauf hin, dass Menschen nach durchgemachter COVID-19-Infektion ein höheres Risiko für Depressionen, Angststörungen oder Hirnleistungsstörungen haben – was mit Long COVID überlappen kann. Eine Langzeitstudie in Deutschland (Charité / Max Delbrück Center) beobachtete Patienten mit schwerer Fatigue über 20 Monate und fand zwei Trends: Diejenigen, die die Kriterien für ME/CFS erfüllten, blieben oft über den gesamten Zeitraum schwer krank; andere mit ähnlichen Symptomen, aber ohne vollständige ME/CFS-Diagnose, zeigten hingegen langsam Besserungen im Verlauf (Neue Studie der Charité und des Max Delbrück Centers: Erkenntnisse zu ME/CFS bei Long-COVID-Betroffenen | BMG-Initiative Long COVID). Das unterstreicht, wie wichtig die Differenzierung innerhalb der Long-COVID-Gruppe ist.
Insgesamt haben die bisherigen wissenschaftlichen Arbeiten vor allem deutlich gemacht, wie komplex Long COVID ist. Es gibt nicht die eine Erklärung, sondern mehrere Puzzleteile, die zusammen das Krankheitsbild ergeben. Die Forschung versucht nun, diese Puzzleteile zu einem verständlichen Bild zusammenzufügen.
Zukünftige Forschungsansätze und mögliche Therapien
Angesichts der vielen offenen Fragen laufen weltweit umfangreiche Forschungsprogramme zu Long und Post COVID. In Deutschland wurden vom Bundesforschungsministerium und Bundesgesundheitsministerium dutzende Projekte gestartet, die verschiedene Aspekte untersuchen – von molekularbiologischen Mechanismen bis zur Versorgungsforschung (30 neue Projekte im Rahmen des BMG-Förderschwerpunkts zur). Die Ziele dieser Forschungsanstrengungen sind vor allem: bessere Diagnosemöglichkeiten, Verständnis der Ursachen und darauf aufbauend die Entwicklung gezielter Therapien.
Ein vielversprechender Ansatz ist die Suche nach Biomarkern, also messbaren Indikatoren im Blut oder anderen Körperflüssigkeiten, die Long COVID anzeigen. Wie erwähnt, gab es erste Erfolge, bestimmte Muster zu identifizieren. Sollte es gelingen, einen zuverlässigen Test zu entwickeln, würde das die Diagnose revolutionieren und auch zur Entstigmatisierung beitragen (denn dann ließe sich objektiv „beweisen“, dass jemand an Long COVID erkrankt ist (Ende der Stigmatisierung? — Durchbruch in Long-Covid-Forschung: Diagnose soll möglich werden — News — SRF)). Forscher arbeiten z.B. an Immunprofilen, analysieren Autoantikörper oder suchen nach viralen Resten in Gewebeproben.
Parallel dazu werden neue Therapieansätze erprobt. Da gegenwärtig keine spezifische Medikamententherapie existiert, setzen viele Studien auf repurposing – also bereits zugelassene Wirkstoffe für Long COVID zu testen. Neben Kortison und Immunmodulatoren werden z.B. Gerinnungshemmer (gegen Mikrothromben), Antioxidanzien (zum Schutz der Mitochondrien) und sogar antivirale Medikamente wie Paxlovid hinsichtlich ihrer Wirkung auf Long COVID untersucht (Aktueller Stand: Medikamente bei Long-Covid — vfa) (Long Covid: Potentieller Wirkstoff zeigt in Studie keine Wirkung). In den USA läuft die RECOVER-Initiative, ein Milliardenprojekt, das u.a. kontrollierte Studien zu potenziellen Medikamenten finanziert. Erste Ergebnisse sind hier für die nächsten Jahre zu erwarten. Auch Plasmaaustausch-Verfahren oder Immunadsorption (um vermutete Autoantikörper aus dem Blut zu filtern) werden in Einzelfällen getestet (Aktueller Stand: Medikamente bei Long-Covid). Solche invasiveren Ansätze stehen aber noch ganz am Anfang der Prüfung.
Ein weiterer Strang sind rehabilitationsorientierte Studien: Hier geht es darum, optimal herauszufinden, welche Kombination von Physio‑, Ergo- und Psychotherapie den größten Nutzen bringt. Da viele Long-COVID-Patienten in eine chronische Phase übergehen, überschneidet sich die Forschung zunehmend mit der zu anderen chronischen Erkrankungen (z.B. ME/CFS oder chronisches Lyme-Syndrom). Künftig könnten multimodale Therapieprogramme entwickelt werden, die individuell angepasst werden, je nachdem, ob bei einem Patienten eher die immunologische, die neurologische oder die kardiopulmonale Komponente im Vordergrund steht.
Spannend sind auch High-Tech-Ansätze: Einige Arbeitsgruppen nutzen Künstliche Intelligenz, um in den gewaltigen Datenmengen (Symptome, Laborwerte, Genetik) Muster zu entdecken, die Untertypen von Long COVID definieren. Andere forschen an Impfstoffen, die speziell Long COVID vorbeugen sollen – zum Beispiel durch optimierten Schutz vor SARS-CoV-2-Reaktivierung im Körper nach der akuten Phase. Apropos Impfung: Es gibt Hinweise, dass Impfungen das Long-COVID-Risiko reduzieren können, wenn auch nicht vollständig (COVID survivors at increased risk of long-term gastrointestinal …). Deshalb gehört die COVID-Impfung weiterhin zu den empfohlenen Maßnahmen, um Long COVID vorzubeugen.
Insgesamt gilt: Die wissenschaftliche Erforschung von Long und Post COVID ist ein Marathon, kein Sprint. Vieles wurde in kurzer Zeit gelernt, doch ebenso viele Fragen sind noch offen. Mit jeder neuen Studie kommen Puzzleteile hinzu – etwa zu genetischen Risikofaktoren (warum bekommen manche Long COVID und andere nicht?), zu geschlechtsspezifischen Unterschieden (Frauen scheinen etwas häufiger betroffen zu sein als Männer) und zur langfristigen Prognose (wie viele Betroffene genesen vollständig, wie viele behalten dauerhafte Beeinträchtigungen?). Auch die Überschneidung mit anderen postviralen Syndromen wird intensiv untersucht, um aus früheren Erkenntnissen zu lernen.
Die Hoffnung ist, dass in den kommenden Jahren gezielte Therapien entwickelt werden können, wenn die Mechanismen klarer sind. Beispielsweise, sollte sich die Virus-Persistenz-Hypothese bestätigen, könnten antivirale Langzeitmittel oder Virus-neutralisierende Immuntherapien helfen. Sollten Autoimmunprozesse dominieren, kämen spezifische Immunsuppressiva oder Biologicals in Betracht, um die fehlgeleiteten Immunangriffe zu stoppen. Und falls die Durchblutungs-Theorie stimmt, könnten Medikamente, die die Mikrozirkulation verbessern oder Mikrogerinnsel auflösen, zum Einsatz kommen.
Für die Betroffenen ist wichtig zu wissen: Sie stehen nicht alleine, und die Medizin nimmt das Phänomen sehr ernst. Weltweit arbeiten Experten daran, Long COVID besser zu verstehen und die Versorgung zu verbessern. Jede neue Erkenntnis – sei es ein gefundenes Molekül im Blut, ein identifizierter Risikofaktor oder ein getestetes Medikament – bringt uns einen Schritt weiter. Bis echte Durchbrüche kommen, bleibt Empathie und Unterstützung für die Patienten oberstes Gebot. Aber die Fortschritte der letzten Jahre geben Grund zu vorsichtigem Optimismus, dass Long und Post COVID in Zukunft besser behandelbar und auch in der Gesellschaft anerkannt sein werden.
Fazit: Long-COVID und Post-COVID-Syndrom stellen uns vor medizinische, therapeutische und gesellschaftliche Herausforderungen. Häufige Symptome wie Fatigue, Atemnot und kognitive Störungen erfordern eine sorgfältige Diagnostik und individuelle Behandlungskonzepte. Obwohl es noch keine ursächliche Therapie gibt, können durch symptomorientierte Medikamente, Rehabilitation und psychosoziale Unterstützung spürbare Verbesserungen erzielt werden. Gleichzeitig müssen wir als Gesellschaft daran arbeiten, Vorurteile und Unverständnis gegenüber Betroffenen abzubauen – durch Aufklärung, Forschung und Solidarität. Long COVID ist real und komplex, doch mit wissenschaftlichem Fortschritt und Empathie können wir Wege finden, den Betroffenen ihre Lebensqualität bestmöglich zurückzugeben (Stigmatisierung von ME/CFS und Post-COVID und ihre Auswirkungen auf Qualität und Kosten der Gesundheitsversorgung (StiMECO) | BMG).
Quellen: Aktuelle Leitlinien, Studien und Informationsportale zum Long-/Post-COVID-Syndrom (u.a. RKI, BMG, WHO) sowie wissenschaftliche Publikationen zu Symptomen, Therapien und psychosozialen Auswirkungen (Thema: Long COVID und Post COVID: Diagnose und Behandlung: Kassenärztliche Vereinigung Berlin) (Long COVID: Hilfreiche Informationen für Betroffene, Angehörige und Interessierte) (Science Bite: Long COVID — Presse — DGPPN) (Long COVID Studie: Blutwerte zeigen Umprogrammierung von Immunzellen an | News | Universitätsmedizin Halle) (Von Long Covid aus dem Leben gerissen: Womit Betroffene zu kämpfen haben | Sonntags). (Alle Zitate und Zahlen im Text sind mit den entsprechenden Quellen belegt.)