Informelle Pflege in Deutschland: Eine unverzichtbare Säule des Pflegesystems
Einleitung
Informelle Pflege, also die Betreuung pflegebedürftiger Personen durch Familienmitglieder, Freunde oder Nachbarn ohne formale Ausbildung oder Bezahlung, ist ein zentraler Bestandteil des deutschen Pflegesystems. Angesichts der alternden Bevölkerung und des steigenden Bedarfs an Pflegeleistungen gewinnt sie zunehmend an Bedeutung. Dieser Blogbeitrag beleuchtet den Umfang, die Herausforderungen, die Unterstützungssysteme und die Zukunftsperspektiven der informellen Pflege in Deutschland.
Der Umfang der informellen Pflege
Laut offiziellen Statistiken leisten etwa 5 Millionen Menschen in Deutschland informelle Pflege, was etwa 4 % der Gesamtbevölkerung entspricht (Eurocarers). Selbstberichtete Daten aus der European Quality of Life Survey (2016) deuten jedoch auf eine deutlich höhere Zahl hin: Rund 22 % der Bevölkerung, also über 18 Millionen Menschen, geben an, informelle Pflege zu leisten. Diese Diskrepanz zeigt, dass die informelle Pflege in offiziellen Statistiken oft unterschätzt wird.
Die typischen Pflegekräfte sind Ehepartner oder Kinder im Alter von 50 bis 65 Jahren. Eine besondere Gruppe sind etwa 230.000 Kinder und Jugendliche, die laut dem GKV-Spitzenverband substanzielle Pflegeaufgaben übernehmen. Frauen sind mit 23,9 % häufiger beteiligt als Männer (19,3 %), und die Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen ist besonders stark vertreten, mit 32,7 % der Frauen und 24,6 % der Männer in dieser Gruppe (Frontiers).
Merkmal | Details |
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Anzahl informeller Pflegekräfte | Offiziell: ~5 Mio. (4 %); Selbstbericht: ~18 Mio. (22 %) |
Geschlechterverteilung | Frauen: 23,9 %; Männer: 19,3 % |
Altersgruppe | Häufigste Gruppe: 45–64 Jahre (Frauen: 32,7 %; Männer: 24,6 %) |
Junge Pflegekräfte | ~230.000 Kinder/Jugendliche |
Die Rolle der Pflegeversicherung
Deutschland verfügt über ein gesetzliches Pflegeversicherungssystem (Pflegeversicherung), das etwa 89 % der Bevölkerung durch die gesetzliche und 11 % durch die private Pflegeversicherung abdeckt. Dieses System unterstützt informelle Pflege durch Geldleistungen oder Sachleistungen. Im Jahr 2018 erhielten 48,3 % aller Pflegeversicherten Geldleistungen, und 62,1 % nutzten kombinierte Leistungen (Eurocarers).
Seit Januar 2025 wurde der Beitragssatz der Pflegeversicherung um 0,2 Prozentpunkte auf 4,2 % für Personen ohne Kinder erhöht, um den steigenden Kosten und dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden (The Local). Informelle Pflegekräfte, die mindestens 14 Stunden pro Woche pflegen, profitieren von Sozialleistungen wie Beiträgen zur Rentenversicherung, Unfallversicherung und Arbeitslosenversicherung, sofern sie nicht mehr als 30 Stunden wöchentlich erwerbstätig sind.
Leistung | Details |
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Pflegeversicherung Abdeckung | 89 % gesetzlich, 11 % privat |
Geldleistungen (2018) | 48,3 % der Pflegeversicherten; 62,1 % mit kombinierten Leistungen |
Beitragssatz 2025 | 4,2 % für Personen ohne Kinder (Erhöhung um 0,2 Prozentpunkte) |
Sozialleistungen | Renten‑, Unfall‑, Arbeitslosenversicherung für ≥14 Stunden/Woche Pflege |
Herausforderungen für informelle Pflegekräfte
Informelle Pflegekräfte stehen vor erheblichen Herausforderungen. Studien zeigen, dass intensive Pflegekräfte (≥10 Stunden/Woche) häufiger gesundheitliche Probleme wie Rückenschmerzen (43 % Frauen, 41,8 % Männer vs. 32,4 % bzw. 28,7 % Nicht-Pflegekräfte) oder psychische Belastungen wie Depressionen berichten (Frontiers). Männer, die intensiv pflegen, berichten zudem häufiger von schlechterem allgemeinen Gesundheitszustand (44 % vs. 28 %) und chronischen Krankheiten (58,8 % vs. 45,5 %).
Beruflich reduzieren viele Pflegekräfte ihre Arbeitszeit um 5–8 Stunden pro Woche, was die Rückkehr in den Vollzeitjob erschwert. Finanzielle Belastungen entstehen, da die Pflegeleistungen oft nicht den vollen Aufwand kompensieren. Mehr als 10 % der Pflegekräfte wünschen sich, weniger Zeit mit Pflege zu verbringen (Europa).
Unterstützungssysteme für informelle Pflegekräfte
Deutschland bietet verschiedene Unterstützungsmaßnahmen für informelle Pflegekräfte:
- Schulungen: Seit 2008 gibt es kostenlose Pflegekurse, und die Nutzung von Beratungsdiensten ist für die Qualitätssicherung verpflichtend.
- Entlastungspflege: Pflegekräfte können bis zu 4 Wochen pro Jahr Entlastungspflege (max. 1.550 €) in Anspruch nehmen, wenn sie mindestens 6 Monate gepflegt haben.
- Vereinbarkeit von Beruf und Pflege: Arbeitnehmer in Unternehmen mit mehr als 25 Mitarbeitern können ihre Arbeitszeit für bis zu 24 Monate um mindestens 15 Stunden reduzieren oder bis zu 6 Monate freistellen lassen. Kurzzeitige Pflegefreistellung von bis zu 10 Arbeitstagen (während COVID-19 auf 20 erhöht) wird mit 90 % Lohnersatz vergütet.
- Beratungsdienste: Seit 2009 haben Pflegekräfte Anspruch auf kostenlose Beratung. Es gibt die Hotline „Pflegetelefon“ und Pflegekurse (Eurocarers).
- Unterstützung für junge Pflegekräfte: Niedrigschwellige Beratungsdienste, finanziert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), unterstützen Kinder und Jugendliche, die pflegen.
Demografische Trends und Zukunftsperspektiven
Die Babyboomer-Generation (50–65 Jahre) stellt derzeit einen Großteil der informellen Pflegekräfte. Mit ihrem Älterwerden wird der Pflegebedarf jedoch steigen, was zu einem geschätzten Defizit von etwa 400.000 Pflegekräften bis 2060 führen könnte (Europa). Der Pflegebedarf wird bis 2050 um 24 % und bis 2070 um 36 % steigen (Frontiers). Dies erfordert nachhaltige Lösungen, wie die Integration formeller Pflege und verbesserte Unterstützung für informelle Pflegekräfte.
Fazit
Informelle Pflege ist eine unverzichtbare Säule des deutschen Pflegesystems und unterstützt Millionen pflegebedürftiger Menschen. Die Belastungen für Pflegekräfte sind jedoch erheblich, weshalb robuste Unterstützungssysteme und politische Maßnahmen notwendig sind. Mit der jüngsten Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge ist es entscheidend, die Unterstützung für informelle Pflegekräfte weiter auszubauen, um die Effektivität des Pflegesystems langfristig zu sichern.