ADHS bei Kindern und der Anspruch auf einen Pflegegrad in Deutschland

Ein Kind mit ADHS (Auf­merk­sam­keits­de­fi­zit-/Hy­per­ak­ti­vi­täts­stö­rung) zu erzie­hen, kann sehr her­aus­for­dernd sein. Vie­le Eltern fra­gen sich, ob ihnen auf­grund des erhöh­ten Betreu­ungs­auf­wands ein Pfle­ge­grad zusteht – also Unter­stüt­zung aus der Pfle­ge­ver­si­che­rung. Tat­säch­lich kön­nen Kin­der mit ADHS einen Pfle­ge­grad erhal­ten, wenn ihre Selbst­stän­dig­keit im All­tag erheb­lich ein­ge­schränkt ist und sie deut­lich mehr Hil­fe benö­ti­gen als gleich­alt­ri­ge Kin­der ohne ADHS. In die­sem Blog­bei­trag erklä­ren wir ver­ständ­lich, was ADHS bei Kin­dern bedeu­tet, wel­che recht­li­chen Grund­la­gen für Pfle­ge­gra­de in Deutsch­land gel­ten und unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen ein Kind mit ADHS Anspruch auf einen Pfle­ge­grad hat. Außer­dem füh­ren wir durch das Ver­fah­ren zur Bean­tra­gung eines Pfle­ge­grads (inklu­si­ve der MDK-Begut­ach­tung) und geben Tipps zur Vor­be­rei­tung auf den Begut­ach­tungs­ter­min. Abschlie­ßend stel­len wir mög­li­che Unter­stüt­zungs­an­ge­bo­te, Anlauf­stel­len und Bera­tungs­stel­len für Fami­li­en in Deutsch­land vor.

ADHS bei Kindern – Symptome und Auswirkungen im Alltag

Ein Kind mit ADHS kann impul­siv, unru­hig oder wütend reagie­ren. Sol­che Ver­hal­tens­wei­sen tre­ten deut­lich häu­fi­ger und inten­si­ver auf als bei gleich­alt­ri­gen Kin­dern ohne ADHS.

Was ist ADHS? ADHS (Auf­merk­sam­keits­de­fi­zit-Hyper­ak­ti­vi­täts­stö­rung) ist eine neu­ro­psych­ia­tri­sche Ent­wick­lungs­stö­rung, die meist im Kin­des­al­ter beginnt und sich durch cha­rak­te­ris­ti­sche Ver­hal­tens­mus­ter aus­zeich­net. Betrof­fe­ne Kin­der zei­gen vor allem Auf­fäl­lig­kei­ten in drei Kernbereichen:

  • Auf­merk­sam­keits­stö­run­gen: Schwie­rig­kei­ten, sich län­ge­re Zeit zu kon­zen­trie­ren, sich leicht ablen­ken zu las­sen und Auf­ga­ben nicht zu Ende füh­ren zu können.
  • Hyper­ak­ti­vi­tät: Über­mä­ßi­ge moto­ri­sche Unru­he, ein nahe­zu stän­di­ger Bewe­gungs­drang und Schwie­rig­kei­ten, ruhig sit­zen zu bleiben.
  • Impul­si­vi­tät: Sehr spon­ta­nes, unüber­leg­tes Han­deln, Pro­ble­me abzu­war­ten und star­ke emo­tio­na­le Reak­tio­nen (z.B. Wutausbrüche).

Alle Kin­der sind mal unauf­merk­sam oder wild – bei Kin­dern mit ADHS tre­ten die­se Ver­hal­tens­wei­sen jedoch wesent­lich häu­fi­ger und aus­ge­präg­ter auf. Im Kin­der­gar­ten oder der Schu­le fal­len betrof­fe­ne Kin­der z.B. durch gro­ße Unru­he, lau­tes oder stö­ren­des Ver­hal­ten und Kon­zen­tra­ti­ons­schwie­rig­kei­ten auf. Oft kön­nen sie Regeln nur schwer befol­gen und han­deln impulsiv.

Aus­wir­kun­gen im All­tag: Ein Kind mit ADHS zu betreu­en, erfor­dert viel Geduld und Auf­merk­sam­keit von den Eltern. Der Fami­li­en­all­tag ist oft von Kon­flik­ten geprägt, weil das Kind bei­spiels­wei­se Anwei­sun­gen oder Regeln nicht ein­hält, sehr unkon­trol­liert und „auf­fäl­lig unru­hig“ agiert und mit­un­ter aggres­siv reagiert. In der Schu­le kön­nen Lern­schwie­rig­kei­ten und Pro­ble­me mit dem Sozi­al­ver­hal­ten auf­tre­ten. Eltern sind dadurch stark gefor­dert – es ist völ­lig nor­mal, sich zeit­wei­se über­for­dert oder gereizt zu füh­len. Wich­tig ist jedoch, sich immer wie­der bewusst zu machen, dass das Kind sein Ver­hal­ten nicht absicht­lich zeigt. Vie­le Fami­li­en ent­wi­ckeln mit der Zeit Stra­te­gien, die im All­tag hel­fen, etwa durch kla­re Struk­tu­ren und Rou­ti­nen. Den­noch benö­ti­gen Kin­der mit aus­ge­präg­tem ADHS oft mehr Betreu­ung, Anlei­tung und Auf­sicht als ande­re Gleich­alt­ri­ge. Bei­spiels­wei­se müs­sen Eltern sie stän­dig bei den Haus­auf­ga­ben beglei­ten oder dar­an erin­nern, all­täg­li­che Din­ge (Anzie­hen, Zäh­ne­put­zen, Essen) zu erle­di­gen. Auch emo­tio­na­le Aus­brü­che (Wut, Frus­tra­ti­on) müs­sen häu­fi­ger auf­ge­fan­gen wer­den. Die­se zusätz­li­chen Anfor­de­run­gen kön­nen dazu füh­ren, dass ein Kind mit ADHS pfle­ge­be­dürf­tig im Sin­ne der Pfle­ge­ver­si­che­rung wird – das heißt, einen beson­de­ren Unter­stüt­zungs­be­darf hat, der über das alters­üb­li­che Maß hinausgeht.

Pflegegrade: Rechtliche Grundlagen in Deutschland

Damit ein Kind (oder Erwach­se­ner) Leis­tun­gen aus der Pfle­ge­ver­si­che­rung erhält, muss Pfle­ge­be­dürf­tig­keit im Sin­ne des Elf­ten Sozi­al­ge­setz­buchs (SGB XI) vor­lie­gen. Seit der Pfle­ge­re­form 2017 gilt ein neu­er Pfle­ge­be­dürf­tig­keits­be­griff: Nicht nur kör­per­li­che, son­dern auch psy­chi­sche oder kogni­ti­ve Beein­träch­ti­gun­gen wer­den berück­sich­tigt. Das heißt, auch bei psy­chi­schen oder neu­ro­lo­gi­schen Stö­run­gen wie ADHS kann ein Pfle­ge­grad bewil­ligt wer­den, sofern der All­tag der Betrof­fe­nen dau­er­haft in erheb­li­chem Maße beein­träch­tigt ist.

Wich­tig sind vor allem fol­gen­de gesetz­li­che Grundlagen:

  • Dau­er­haf­te Beein­träch­ti­gung: Die Ein­schrän­kun­gen des Kin­des müs­sen lang­fris­tig bestehen. Gesetz­lich wird ver­langt, dass die Beein­träch­ti­gung vor­aus­sicht­lich min­des­tens 6 Mona­te andau­ert. ADHS ist eine chro­ni­sche Stö­rung, die die­se Bedin­gung in der Regel erfüllt – ins­be­son­de­re wenn sie ärzt­lich dia­gnos­ti­ziert ist und die Sym­pto­me seit über einem hal­ben Jahr deut­lich auftreten.
  • Pfle­ge­ver­si­che­rungs­schutz: Das Kind (bzw. ein Eltern­teil) muss in der gesetz­li­chen oder pri­va­ten Pfle­ge­ver­si­che­rung ver­si­chert sein. In der Pra­xis sind Kin­der meist über die Fami­lie mit­ver­si­chert. Gesetz­lich ist vor­ge­schrie­ben, dass der Ver­si­cher­te vor Antrag­stel­lung in den letz­ten zehn Jah­ren min­des­tens zwei Jah­re in der Pfle­ge­ver­si­che­rung ver­si­chert war (Eigen- oder Fami­li­en­ver­si­che­rung). Für Kin­der wird die­se Vor­aus­set­zung in aller Regel durch die Ver­si­che­rung der Eltern erfüllt.

Was ist ein Pfle­ge­grad? Die Pfle­ge­ver­si­che­rung kennt fünf Pfle­ge­gra­de (PG 1 bis 5), die den Grad der Selbst­stän­dig­keit bezie­hungs­wei­se der Beein­träch­ti­gung wider­spie­geln. Je höher der Pfle­ge­grad, des­to umfang­rei­cher die Pfle­ge­be­dürf­tig­keit und des­to höher fal­len die Unter­stüt­zungs­leis­tun­gen aus. Seit 2017 erfolgt die Ein­stu­fung nach einem neu­en Begut­ach­tungs­sys­tem, das den Fokus dar­auf legt, wie selbst­stän­dig eine Per­son in wich­ti­gen Lebens­be­rei­chen noch ist. Je gerin­ger die Selbst­stän­dig­keit, des­to höher der Pfle­ge­grad. Dabei wird anhand eines Punk­te­sys­tems ermit­telt, ob kei­ne, gerin­ge, erheb­li­che oder schwe­re Beein­träch­ti­gun­gen vor­lie­gen. Ab einer Gesamt­punkt­zahl von 12,5 Punk­ten gilt man als pfle­ge­be­dürf­tig (Pfle­ge­grad 1), ab höhe­ren Punkt­wer­ten ent­spre­chend als PG 2 bis 5 (maxi­mal 100 Punk­te). Zum Bei­spiel wird ein Gesamt­wert von 27–47,5 Punk­ten als Pfle­ge­grad 2 ein­ge­stuft. Ein Pfle­ge­grad 1 bedeu­tet noch rela­tiv gerin­ge Beein­träch­ti­gun­gen und berech­tigt zu begrenz­ten Hil­fen (z.B. Ent­las­tungs­leis­tun­gen von der­zeit 125 € im Monat), wäh­rend ab Pfle­ge­grad 2 auch Pfle­ge­geld aus­ge­zahlt wird – für die häus­li­che Pfle­ge durch Ange­hö­ri­ge sind das ab 2025 z.B. 347 € monat­lich bei PG 2, 599 € bei PG 3 usw..

Beson­der­hei­ten bei Kin­dern: Bei Kin­dern und Jugend­li­chen gel­ten im Prin­zip die glei­chen Begut­ach­tungs­kri­te­ri­en wie bei Erwach­se­nen. Aller­dings wird natür­lich berück­sich­tigt, dass Kin­der je nach Alter noch nicht voll selbst­stän­dig sein kön­nen. Pfle­ge­be­dürf­ti­ge Kin­der wer­den immer mit einem gesun­den gleich­alt­ri­gen Kind ver­gli­chen. Maß­geb­lich ist also nicht der abso­lu­te Unter­stüt­zungs­be­darf, son­dern die über das natür­li­che Alters­maß hin­aus­ge­hen­de Beein­träch­ti­gung der Selbst­stän­dig­keit. Der Gut­ach­ter stellt bei der Begut­ach­tung fest, wel­che Fähig­kei­ten ein Kind in einem bestimm­ten Alter nor­ma­ler­wei­se hät­te und in wel­chen Berei­chen das beein­träch­tig­te Kind davon abweicht. Für jün­ge­re Kin­der gibt es Sonderregeln:

  • Kin­der unter 11 Jah­ren: Hier wird bei der Bewer­tung ein alters­ent­spre­chen­der Maß­stab ange­legt. Ab elf Jah­ren kann ein Kind theo­re­tisch in allen Berei­chen so selbst­stän­dig sein wie ein Erwach­se­ner, daher gel­ten ab dem 11. Geburts­tag die regu­lä­ren Berech­nungs­re­geln wie bei Erwachsenen.
  • Kin­der unter 18 Mona­ten: Babys und Kleinst­kin­der brau­chen natur­ge­mäß fast über­all Hil­fe, daher bekom­men sie pau­schal einen Pfle­ge­grad höher als eigent­lich ermit­telt, um die­sen Ent­wick­lungs­nach­teil aus­zu­glei­chen. So wird z.B. ein Säug­ling mit einem bestimm­ten Punk­te­wert statt in PG 3 auto­ma­tisch in PG 4 ein­ge­stuft. Nach dem 18. Monat erfolgt die regu­lä­re Ein­stu­fung ohne erneu­te Begut­ach­tung, sofern kei­ne gra­vie­ren­den Ände­run­gen auftreten.

Zusam­men­ge­fasst: Auch psy­chi­sche und neu­ro­lo­gi­sche Stö­run­gen wie ADHS kön­nen eine Pfle­ge­be­dürf­tig­keit im Sin­ne des Geset­zes begrün­den. Ent­schei­dend ist, ob ein Kind wegen der ADHS-Sym­pto­me wesent­lich mehr Unter­stüt­zung im All­tag braucht als ande­re Kin­der glei­chen Alters – und zwar dau­er­haft (län­ger als sechs Mona­te). Im nächs­ten Abschnitt schau­en wir, wann das bei ADHS der Fall sein kann.

Voraussetzungen: Wann besteht Anspruch auf einen Pflegegrad bei ADHS?

Nicht jede ADHS-Dia­gno­se führt auto­ma­tisch zu einem Pfle­ge­grad. Maß­geb­lich ist immer der kon­kre­te Hil­fe­be­darf im All­tag. Ein Kind mit ADHS hat Anspruch auf einen Pfle­ge­grad, wenn sei­ne Selbst­stän­dig­keit so weit ein­ge­schränkt ist, dass zusätz­li­che Hil­fe und Betreu­ung über das alters­üb­li­che Maß hin­aus not­wen­dig sind. Die Gut­ach­ter des Medi­zi­ni­schen Diens­tes prü­fen dies im Detail (sie­he nächs­ter Abschnitt). Hier sind die wich­tigs­ten Vor­aus­set­zun­gen und Kri­te­ri­en für einen Pfle­ge­grad bei ADHS:

  • Deut­lich erhöh­ter Betreu­ungs- und Pfle­ge­auf­wand: Das Kind muss in vie­len Lebens­be­rei­chen mehr Unter­stüt­zung brau­chen als ein gesun­des Kind des­sel­ben Alters. Eltern von ADHS-Kin­dern mer­ken dies z.B. dar­an, dass sie stän­dig stär­ker über­wa­chen, anlei­ten oder beru­hi­gen müs­sen als ande­re Eltern. Laut Exper­ten ist der Betreu­ungs­auf­wand für ein Kind mit ADHS nicht sel­ten deut­lich höher als für ein Kind ohne Behin­de­rung. Bei­spie­le: Das Kind kann nicht allei­ne Haus­auf­ga­ben machen, braucht inten­si­ve Hil­fe bei der Struk­tu­rie­rung des Tages, muss bei der Kör­per­pfle­ge oder beim Anzie­hen viel län­ger ange­lei­tet wer­den, oder es benö­tigt dau­ern­de Auf­sicht wegen impul­si­ver Gefähr­dun­gen (weg­lau­fen, ris­kan­tes Ver­hal­ten). Ent­schei­dend ist, dass die­se Mehr­hil­fe jeden Tag oder sehr regel­mä­ßig anfällt.
  • Ein­schrän­kun­gen in ver­schie­de­nen Lebens­be­rei­chen: Die Begut­ach­tung erfolgt in sechs Modu­le (Lebens­be­rei­che): Mobi­li­tät, kogni­ti­ve und kom­mu­ni­ka­ti­ve Fähig­kei­ten, Ver­hal­tens­wei­sen und psy­chi­sche Pro­blem­la­gen, Selbst­ver­sor­gung, Umgang mit krank­heits­be­ding­ten Anfor­de­run­gen, Gestal­tung des All­tags­le­bens und sozia­ler Kon­tak­te. Bei ADHS sind – anders als bei einer rein kör­per­li­chen Erkran­kung – vor allem die psy­chi­schen und sozia­len Berei­che betrof­fen. Mit Aus­nah­me der Mobi­li­tät (kör­per­li­che Beweg­lich­keit) kön­nen bei ADHS in fast allen Modu­len Ein­schrän­kun­gen der Selbst­stän­dig­keit auf­tre­ten. Beson­ders rele­vant sind häufig: 
    • Modul 3 (Ver­hal­tens­wei­sen und psy­chi­sche Pro­blem­la­gen): Hier wird bewer­tet, ob z.B. häu­fi­ge Wut­an­fäl­le, oppo­si­tio­nel­les Ver­hal­ten, Aggres­si­vi­tät, Ängs­te oder Selbst­ver­let­zun­gen vor­lie­gen. Kin­der mit schwe­rem ADHS haben z.B. oft extre­me Wut­aus­brü­che, bei denen sie Gegen­stän­de beschä­di­gen oder um sich schla­gen, und sie zei­gen oppo­si­tio­nel­les Ver­hal­ten gegen­über Eltern oder Leh­rern. Sol­che Ver­hal­tens­auf­fäl­lig­kei­ten flie­ßen mit in die Punk­te­be­wer­tung ein.
    • Modul 4 (Selbst­ver­sor­gung): Hier geht es um all­täg­li­che Akti­vi­tä­ten wie Essen, Trin­ken, Anzie­hen, Kör­per­pfle­ge. ADHS-Kin­der sind zwar kör­per­lich in der Lage, vie­les selbst zu tun, brau­chen aber oft län­ger Anlei­tung und Auf­sicht als ande­re Kin­der. Zum Bei­spiel wer­den man­che Kin­der mit ADHS deut­lich spä­ter stu­ben­rein (brau­chen län­ger Win­deln) und haben Schwie­rig­kei­ten, eine fes­te Toi­let­ten­rou­ti­ne zu ent­wi­ckeln. Vie­le benö­ti­gen über das übli­che Alter hin­aus Hil­fe beim Anzie­hen, Zäh­ne­put­zen oder Essen. Im Bei­spiel eines Gut­ach­tens muss­te ein Jun­ge wegen medi­ka­men­tös beding­ter Appe­tits­tö­run­gen fast immer müh­sam zum Essen moti­viert wer­den. Sol­che zusätz­li­chen Pfle­ge­auf­wän­de in der Selbst­ver­sor­gung wer­den eben­falls berücksichtigt.
    • Modul 5 (Umgang mit krank­heits- oder the­ra­pie­be­ding­ten Anfor­de­run­gen): ADHS erfor­dert oft eine kon­ti­nu­ier­li­che The­ra­pie und Betreu­ung. Kin­der müs­sen z.B. täg­lich Medi­ka­men­te ein­neh­men, regel­mä­ßig Fach­ärz­te, Ergo­the­ra­pie oder Psy­cho­the­ra­pie besu­chen. Häu­fig kön­nen sie das nicht selbst­stän­dig orga­ni­sie­ren. Eltern von ADHS-Kin­dern müs­sen daher dar­auf ach­ten, dass Medi­ka­men­te pünkt­lich ein­ge­nom­men wer­den, und das Kind zu Arzt- und The­ra­pie­ter­mi­nen beglei­ten. Die­ser Auf­wand (z.B. täg­li­che Medi­ka­men­ten­er­in­ne­rung, wöchent­li­che The­ra­pie­stun­den mit Beglei­tung) fließt ins Gut­ach­ten ein.
    • Modul 6 (Gestal­tung des All­tags­le­bens und sozia­ler Kon­tak­te): ADHS kann das Sozi­al­le­ben und den Tages­ab­lauf stark beein­träch­ti­gen. Vie­le betrof­fe­ne Kin­der haben Pro­ble­me im sozia­len Umgang, gera­ten in Kon­flik­te mit Gleich­alt­ri­gen oder iso­lie­ren sich. Auch die All­tags­struk­tur berei­tet Mühe: Sie kön­nen nur schwer allei­ne spie­len oder sich beschäf­ti­gen, haben kei­nen gere­gel­ten Schlaf-Wach-Rhyth­mus oder brau­chen immer wie­der Unter­stüt­zung, um zu ruhen und zu schla­fen. Zum Bei­spiel lei­den man­che ADHS-Kin­der unter Schlaf­stö­run­gen – sie blei­ben bis spät in die Nacht wach (etwa am Com­pu­ter) und müs­sen dann von den Eltern beru­higt und immer wie­der ins Bett gebracht wer­den. Mor­gens kom­men sie schlecht aus dem Bett und brau­chen inten­si­ve Hil­fe, um in den Tag zu star­ten. Sol­che All­tags­pro­ble­me wer­den eben­falls bewertet.
  • Ärzt­li­che Dia­gno­se und Doku­men­ta­ti­on: In der Pra­xis ist eine gesi­cher­te ADHS-Dia­gno­se (durch Kin­der- und Jugend­psych­ia­ter oder Psy­cho­lo­gen) sehr hilf­reich, um den Pfle­ge­grad-Antrag zu unter­mau­ern. Zwar ent­schei­det nicht die „Schwe­re der Dia­gno­se“, son­dern der tat­säch­li­che Unter­stüt­zungs­be­darf im All­tag. Den­noch soll­ten Eltern alle rele­van­ten Nach­wei­se zusam­men­tra­gen: Ärzt­li­che Befun­de, Berich­te von The­ra­peu­ten oder Kli­ni­ken, etwa­ige Schul- oder Kin­der­gar­ten­be­rich­te über das Ver­hal­ten des Kin­des usw.. Die­se Unter­la­gen zei­gen, dass die Pro­ble­me ernst­haft und anhal­tend sind. Sie kön­nen der Pfle­ge­kas­se und dem Gut­ach­ter gegen­über bele­gen, dass ein beson­de­rer Betreu­ungs­be­darf besteht.
  • Pfle­ge­be­dürf­tig­keit über 6 Mona­te: Wie schon erwähnt, muss der Hil­fe­be­darf vor­aus­sicht­lich län­ger als sechs Mona­te bestehen. ADHS ist in der Regel eine län­ger­fris­ti­ge The­ma­tik (oft über meh­re­re Jah­re), jedoch soll­te die Sym­pto­ma­tik aktu­ell rele­vant sein. Das heißt: wenn das Kind durch The­ra­pien oder Rei­fung mitt­ler­wei­le kaum noch Ein­schrän­kun­gen hat, dürf­te kein Pfle­ge­grad mehr begrün­det sein. Bei stark aus­ge­präg­tem ADHS, das trotz The­ra­pie anhal­tend Pro­ble­me berei­tet, ist die 6‑Mo­nats-Bedin­gung meist erfüllt.

Hin­weis: Pfle­ge­grad-Anträ­ge bei ADHS wer­den manch­mal zunächst abge­lehnt, weil ADHS nicht dem „klas­si­schen Bild“ eines pfle­ge­be­dürf­ti­gen Men­schen ent­spricht. Ent­schei­der über­se­hen zuwei­len, wie hoch der Betreu­ungs­auf­wand tat­säch­lich ist, gera­de wenn kein kör­per­li­ches Gebre­chen vor­liegt. Las­sen Sie sich davon nicht ent­mu­ti­gen – mit guter Vor­be­rei­tung (sie­he unten) und ggf. Wider­spruch kann den­noch ein Anspruch durch­ge­setzt wer­den. Im nächs­ten Abschnitt beschrei­ben wir das Antrags- und Begut­ach­tungs­ver­fah­ren. Zuvor jedoch ein kon­kre­tes Bei­spiel, wie ein Pfle­ge­grad bei ADHS aus­se­hen kann.

Fallbeispiel: Pflegegrad 2 bei einem Kind mit ADHS

Bei­spiel: Anton ist 12 Jah­re alt und hat aus­ge­präg­tes ADHS. Er wur­de vom MDK als pfle­ge­be­dürf­tig ein­ge­stuft und erhält Pfle­ge­grad 2. Damit bekom­men sei­ne Eltern monat­lich 347 € Pfle­ge­geld, außer­dem nut­zen sie für Anton Frei­zeit­an­ge­bo­te eines fami­li­en­un­ter­stüt­zen­den Diens­tes im Wert von ca. 131 € pro Monat (finan­ziert über den Ent­las­tungs­be­trag). Wie kam es zu die­ser Ein­stu­fung? – In Antons Pfle­ge­gut­ach­ten wur­den meh­re­re erheb­li­che Beein­träch­ti­gun­gen doku­men­tiert: Anton zeigt täg­li­che Aggres­sio­nen (er beschimpft fast täg­lich Fami­li­en­mit­glie­der, Leh­rer oder Mit­schü­ler) und hat oft Wut­aus­brü­che, bei denen er schon Gegen­stän­de beschä­digt hat. Auf­grund sei­ner Medi­ka­men­ten­ein­nah­me lei­det er unter Appe­tits­tö­run­gen und muss fast immer auf­wän­dig zum Essen über­re­det wer­den. Er ver­gisst außer­dem selbst­stän­dig, sei­ne Medi­ka­men­te ein­zu­neh­men, und benö­tigt Erin­ne­rung und Hil­fe dabei sowie bei regel­mä­ßi­gen Psy­cho­the­ra­pie-Ter­mi­nen (die Eltern müs­sen ihn ca. 4 Mal pro Monat zur The­ra­pie beglei­ten). Zusätz­lich lei­det Anton unter Schlaf­stö­run­gen: Ohne Auf­sicht spielt er exzes­siv nachts Com­pu­ter­spie­le; oft wacht er auf und weckt die Eltern, weil er sich allein nicht beru­hi­gen kann. Jeden Mor­gen muss er müh­sam geweckt und abends immer wie­der zurück ins Bett gebracht wer­den. Ins­ge­samt erreich­te Anton im Begut­ach­tungs­sys­tem 40 Punk­te, was genau in den Bereich von Pfle­ge­grad 2 fällt (PG 2 wird ab 27 Punk­ten bis 47,5 Punk­ten ver­ge­ben). Die­ses Fall­bei­spiel zeigt, dass meh­re­re mode­ra­te bis schwe­re Ein­schrän­kun­gen zusam­men­kom­men müs­sen, damit ADHS zu einem Pfle­ge­grad 2 führt. Bei Anton sind fast alle Lebens­be­rei­che betrof­fen (außer Mobi­li­tät), was den höhe­ren Betreu­ungs­auf­wand gegen­über einem durch­schnitt­li­chen 12-Jäh­ri­gen deut­lich macht. Wür­den Antons Pro­ble­me weni­ger aus­ge­prägt auf­tre­ten, könn­te auch ein nied­ri­ge­rer Pfle­ge­grad (oder kein Pfle­ge­grad) herauskommen.

Pflegegrad beantragen: Ablauf des Verfahrens und Begutachtung durch den MDK

Wenn Eltern fest­stel­len, dass ihr ADHS-Kind einen erheb­li­chen Mehr­be­darf an Pfle­ge und Betreu­ung hat, soll­ten sie einen Pfle­ge­grad-Antrag stel­len. Der Weg zum Pfle­ge­grad sieht in Deutsch­land so aus:

  1. Antrag­stel­lung bei der Pfle­ge­kas­se: Die Pfle­ge­kas­se ist der Pfle­ge­ver­si­che­rungs-Trä­ger und bei der jewei­li­gen Kran­ken­kas­se ange­sie­delt. Der Antrag kann form­los tele­fo­nisch oder schrift­lich gestellt wer­den – ein Anruf bei der Kran­ken­kas­se genügt oft, um den Vor­gang in Gang zu set­zen. Alter­na­tiv schi­cken vie­le Kas­sen ein ein­fa­ches For­mu­lar zu. Es ist kein kom­pli­zier­ter Antrag, den Eltern allei­ne nicht bewäl­ti­gen könn­ten; die Fra­gen sind ver­ständ­lich. Zur Sicher­heit kann man sich von einem Pfle­ge­dienst, Sozi­al­dienst oder einer Pfle­ge­be­ra­tung beim Aus­fül­len hel­fen las­sen, doch meist ist das nicht nötig. Wich­tig: Das Datum der Antrag­stel­lung zählt – ab die­sem Zeit­punkt wer­den bei Bewil­li­gung die Leis­tun­gen rück­wir­kend gewährt. Man soll­te den Antrag also stel­len, sobald man den Ver­dacht hat, dass Pfle­ge­be­dürf­tig­keit vor­liegt, und nicht erst Mona­te warten.
  2. Ter­min zur Begut­ach­tung (MDK): Nach dem Antrag beauf­tragt die Pfle­ge­kas­se den Medi­zi­ni­schen Dienst (MDK bei gesetz­lich Ver­si­cher­ten) bzw. Medic­pro­of (bei Pri­vat­ver­si­cher­ten) mit der Begut­ach­tung. Ein(e) Gutachter*in mel­det sich dann, um einen Haus­be­such zu ver­ein­ba­ren. Die Begut­ach­tung fin­det in der ver­trau­ten häus­li­chen Umge­bung statt – also meist zuhau­se, ggf. auch im Kin­der­gar­ten oder an einem ande­ren Ort, wo das Kind betreut wird. Für Kin­der ist das Zuhau­se am bes­ten, da sie sich dort siche­rer füh­len und der Gut­ach­ter sich ein rea­lis­ti­sches Bild des All­tags machen kann. Beim Ter­min schaut der MDK genau hin, in wel­chen Tätig­kei­ten und in wel­chem Umfang das Kind Unter­stüt­zung braucht. Er oder sie ori­en­tiert sich dabei an bun­des­ein­heit­li­chen Begut­ach­tungs­richt­li­ni­en, die die oben genann­ten Modu­le und Kri­te­ri­en ent­hal­ten. Es wird z.B. gefragt, wie das Kind sei­nen Tag ver­bringt, wobei es Hil­fe braucht, wie häu­fig bestimm­te Situa­tio­nen vor­kom­men (z.B. Wut­an­fäl­le, Unfäl­le durch Unacht­sam­keit, Näch­te mit wenig Schlaf), ob The­ra­pien lau­fen usw. Nicht die Dia­gno­se ADHS an sich, son­dern der kon­kre­te Grad der Selbst­stän­dig­keit bzw. Hilfs­be­dürf­tig­keit im All­tag ist aus­schlag­ge­bend. Der Gut­ach­ter ver­gleicht immer mit einem „nor­mal“ ent­wi­ckel­ten Kind des­sel­ben Alters. Daher kann es wäh­rend der Begut­ach­tung auch vor­kom­men, dass Eltern gefragt wer­den, ob das Ver­hal­ten alters­ge­recht ist oder nicht – hier soll­ten Eltern den Ver­gleich mit ande­ren Kin­dern zie­hen (sie­he Tipps unten). In der Regel dau­ert eine Begut­ach­tung bei Kin­dern etwa 60 bis 90 Minu­ten. Gera­de wenn das Kind klein ist, wird es oft nur kurz oder spie­le­risch ein­be­zo­gen; der Gut­ach­ter spricht vor allem mit den Eltern und beob­ach­tet das Kind im Hintergrund.
  3. Begut­ach­tungs­er­geb­nis und Bescheid: Spä­tes­tens 5 Wochen nach Antrags­ein­gang (bzw. nach Ein­gang aller Unter­la­gen) muss die Pfle­ge­kas­se den Bescheid ver­schi­cken. Man erhält schrift­lich mit­ge­teilt, ob und wel­cher Pfle­ge­grad bewil­ligt wur­de und ab wann Leis­tun­gen zuste­hen. Auf Wunsch kön­nen Eltern auch eine Kopie des Gut­ach­tens anfor­dern, um die genaue Begrün­dung und Punk­te­be­wer­tung nach­zu­le­sen. Wird ein Pfle­ge­grad zuer­kannt, erfol­gen die Leis­tun­gen rück­wir­kend ab Antrags­da­tum. Ab Pfle­ge­grad 2 wird auto­ma­tisch monat­lich das Pfle­ge­geld über­wie­sen (sofern das Kind zuhau­se von den Eltern betreut wird) und es kön­nen wei­te­re Sach­leis­tun­gen in Anspruch genom­men wer­den (z.B. der Ent­las­tungs­be­trag, Leis­tun­gen für Kurz­zeit­pfle­ge etc.).
  4. Wenn der Antrag abge­lehnt wird oder der Pfle­ge­grad zu nied­rig erscheint: Lei­der kommt es vor, dass Eltern einen ableh­nen­den Bescheid bekom­men oder mit der Ein­stu­fung nicht ein­ver­stan­den sind – etwa weil nur PG 1 bewil­ligt wur­de, obwohl man PG 2 erwar­tet hat­te. In die­sem Fall kann man Wider­spruch ein­le­gen. Der Wider­spruch ist kos­ten­los und muss inner­halb eines Monats schrift­lich bei der Pfle­ge­kas­se ein­ge­reicht wer­den. Dar­in soll­te man detail­liert begrün­den, war­um man die Ent­schei­dung für falsch hält (idea­ler­wei­se mit neu­en Infos oder Nach­wei­sen, die im Gut­ach­ten über­se­hen wur­den). Wird der Wider­spruch abge­lehnt, besteht immer noch die Mög­lich­keit, Kla­ge vor dem Sozi­al­ge­richt ein­zu­rei­chen. Auch das ist für Ver­si­cher­te kos­ten­los und ohne Anwalt mög­lich, aller­dings kann anwalt­li­che Hil­fe die Erfolgs­chan­cen erhö­hen. Sozi­al­ver­bän­de wie VdK oder SoVD oder Anwäl­te für Sozi­al­recht kön­nen hier bera­tend unter­stüt­zen. In vie­len Fäl­len lohnt es sich, zumin­dest den Wider­spruch zu ver­su­chen – gera­de bei ADHS wird die Pfle­ge­be­dürf­tig­keit anfangs manch­mal unter­schätzt. Wich­tig: Wäh­rend eines Wider­spruchs- oder Kla­ge­ver­fah­rens soll­ten Eltern wei­ter ein Pfle­ge­ta­ge­buch füh­ren und ggf. neue ärzt­li­che Attes­te sam­meln, um bei einer erneu­ten Begut­ach­tung bes­ser vor­be­rei­tet zu sein.

Vorbereitung auf die MDK-Begutachtung: Tipps für Eltern

Die Vor­be­rei­tung auf den Begut­ach­tungs­ter­min ist bei ADHS beson­ders wich­tig. Da ADHS-Kin­der nach außen hin kör­per­lich gesund wir­ken, müs­sen Eltern den tat­säch­li­chen Pfle­ge- und Betreu­ungs­auf­wand gut ver­deut­li­chen. Fol­gen­de Tipps hel­fen, damit der MDK-Gut­ach­ter ein rea­lis­ti­sches Bild bekommt und der Antrag erfolg­reich ist:

  • Pfle­ge­ta­ge­buch füh­ren: Fan­gen Sie früh­zei­tig an, ein Pfle­ge­ta­ge­buch oder Betreu­ungs­ta­ge­buch zu schrei­ben. Dar­in hal­ten Sie über min­des­tens ein bis zwei Wochen (bes­ser län­ger) alles fest, was an zusätz­li­cher Hil­fe und Betreu­ung anfällt: z.B. „Mor­gens 30 Minu­ten gemein­sa­mes Anzie­hen, da Kind nicht bei der Sache bleibt“, „In der Nacht zwei­mal auf­ge­stan­den wegen Unru­he des Kin­des“, „Nach­mit­tags 1 Stun­de Haus­auf­ga­ben­be­treu­ung, Kind kann kei­ne 5 Minu­ten allei­ne arbei­ten“, „Wut­an­fall von 10 Minu­ten, muss­te beru­higt wer­den“ etc. Die­ses Tage­buch gibt dem Gut­ach­ter schwarz auf weiß einen Über­blick, wie oft und wie lan­ge bestimm­te Hil­fen nötig sind. Neh­men Sie es zum Ter­min mit und über­rei­chen Sie es dem Gut­ach­ter oder bespre­chen Sie es Punkt für Punkt. Ein sol­ches Pro­to­koll ver­hin­dert, dass man im Gespräch etwas ver­gisst, und macht den objek­ti­ven Mehr­auf­wand deut­lich. Vor­la­gen für Pfle­ge­ta­ge­bü­cher gibt es online (z.B. bei Pfle­ge­kas­sen oder Sozialverbänden).
  • Ver­gleich mit gleich­alt­ri­gen Kin­dern zie­hen: Vie­len Eltern erscheint der eige­ne All­tag „nor­mal“, weil sie nichts ande­res ken­nen. Gera­de wenn man viel­leicht nur ein Kind hat (oder meh­re­re Kin­der mit ADHS/Behinderung), fehlt der Maß­stab. Spre­chen Sie daher mit Eltern von gesun­den Alters­ge­nos­sen und fra­gen Sie, wie selbst­stän­dig deren Kin­der bestimm­te Din­ge schon kön­nen. Oft merkt man dann, an wel­chen Stel­len das eige­ne Kind deut­lich mehr Unter­stüt­zung braucht als ande­re. Notie­ren Sie sich sol­che Unter­schie­de und brin­gen Sie die­se im Gut­ach­ter­ge­spräch zur Spra­che („Die meis­ten 7‑Jährigen kön­nen schon allein zur Schu­le gehen, mein Kind kann das wegen der ADHS nicht, weil …“). Die­ser Ver­gleich ist zen­tral, da die Gut­ach­ter expli­zit nach Abwei­chun­gen vom alters­ge­mä­ßen Ent­wick­lungs­stand suchen.
  • Alle Unter­la­gen bereit­le­gen: Stel­len Sie vor dem Ter­min eine Map­pe mit allen rele­van­ten Doku­men­ten zusam­men. Dazu gehö­ren: Ärzt­li­che Unter­la­gen (Dia­gno­se­be­richt, Arzt­brie­fe, Ent­wick­lungs­be­rich­te der letz­ten 12 Mona­te), The­ra­pie-Nach­wei­se (Berich­te von Psy­cho­lo­gen, Ergo­the­ra­peu­ten, lau­fen­de Behand­lun­gen), das gel­be Kin­der-Unter­su­chungs­heft (U‑Heft), Berich­te von Kita oder Schu­le (falls vor­han­den, etwa vom Schul­be­glei­ter oder Leh­rer über das Ver­hal­ten). Auch das Pfle­ge­ta­ge­buch gehört dazu. So kön­nen Sie dem Gut­ach­ter jeden Aspekt untermauern.
  • Gut­ach­t­er­ter­min bewusst gestal­ten: Ver­su­chen Sie, am Tag der Begut­ach­tung eine ruhi­ge Atmo­sphä­re zu schaf­fen, aber zei­gen Sie den ech­ten All­tag. Es bringt nichts, das Kind künst­lich „her­aus­zu­put­zen“ oder Pro­ble­me zu kaschie­ren – beschö­ni­gen Sie nichts, son­dern spre­chen Sie die Schwie­rig­kei­ten offen an. Kon­kre­te Bei­spie­le sind dabei hilf­reich: Erzäh­len Sie z.B. vom letz­ten Wut­an­fall und wie Sie ein­grei­fen muss­ten, oder dass Ihr Kind sich ges­tern wie­der gefähr­lich am Fens­ter gelehnt hat, sodass Sie es kei­ne Sekun­de aus den Augen las­sen kön­nen. Pla­nen Sie den Ter­min so, dass kei­ne Stö­run­gen auf­tre­ten (z.B. Tele­fon aus, Haus­tie­re in ande­rem Raum). Es kann sinn­voll sein, eine wei­te­re ver­trau­te Per­son (Part­ner, Groß­el­tern) dabei zu haben, die ggf. ergänzt, was noch wich­tig ist – ver­mei­den Sie aber eine unru­hi­ge Umge­bung mit zu vie­len Leu­ten. Man­che Exper­ten raten, das Kind wäh­rend des Gesprächs kurz zu zei­gen, aber nicht durch­ge­hend dabei zu haben. Etwa kann das Kind am Anfang „Hal­lo“ sagen oder etwas vor­spie­len, danach aber im Neben­zim­mer spie­len. So kön­nen die Eltern offen spre­chen, ohne dass das Kind sich ver­stel­len will oder abge­lenkt wird.
  • Eige­ne Hal­tung und Kom­mu­ni­ka­ti­on: Sei­en Sie wäh­rend des Ter­mins freund­lich und koope­ra­tiv, aber auch bestimmt in der Sache. Sie sind der Exper­te für Ihr Kind – trau­en Sie sich, den Mehr­auf­wand selbst­be­wusst dar­zu­stel­len. Das ist kein „Jam­mern auf hohem Niveau“, son­dern not­wen­dig, damit Ihr Kind die Unter­stüt­zung bekommt, die es braucht. Ver­mei­den Sie For­mu­lie­run­gen wie „Eigent­lich schaf­fen wir das schon, irgend­wie“ – das rela­ti­viert den Auf­wand. Bes­ser ist: „Ohne unse­re dau­ern­de Hil­fe wür­de es nicht gehen.“ Geben Sie dem Gut­ach­ter ein kla­res Bild, war­um Ihr Kind nicht ohne wei­te­res allei­ne klar­kommt. Falls vor­han­den, erwäh­nen Sie auch Hilfs­mit­tel (z.B. einen spe­zi­el­len Wecker für die Medi­ka­men­ten­er­in­ne­rung, den das Kind aber trotz­dem igno­riert – so was zeigt, dass auch tech­ni­sche Hil­fen nicht ausreichen).

Zusam­men­ge­fasst: Eine gute Vor­be­rei­tung besteht dar­in, den eige­nen Betreu­ungs­auf­wand zu ana­ly­sie­ren und zu doku­men­tie­ren, ehr­lich und kon­kret dar­über zu berich­ten und alle nöti­gen Nach­wei­se parat zu haben. So stel­len Sie sicher, dass der MDK-Gut­ach­ter den Pfle­ge­be­darf Ihres Kin­des rich­tig ein­schätzt und ent­spre­chend einen Pfle­ge­grad empfiehlt.

Eltern im Gespräch mit einem Gut­ach­ter des MDK. Im Begut­ach­tungs­ter­min soll­ten Mütter/Väter den zusätz­li­chen Hil­fe­be­darf ihres Kin­des offen und detail­liert schil­dern – am bes­ten mit Bei­spie­len und Dokumentationen.

Unterstützungsangebote und Anlaufstellen für Familien

Die Dia­gno­se ADHS und die Bean­tra­gung eines Pfle­ge­grads kön­nen für Eltern sehr belas­tend sein. Zum Glück gibt es in Deutsch­land zahl­rei­che Unter­stüt­zungs­an­ge­bo­te, Bera­tungs­stel­len und Anlauf­stel­len, die Fami­li­en mit ADHS-Kin­dern zur Sei­te ste­hen. Hier eine Über­sicht wich­ti­ger Ressourcen:

  • ADHS-Selbst­hil­fe­grup­pen und Eltern­netz­wer­ke: Der Aus­tausch mit ande­ren betrof­fe­nen Eltern ist oft Gold wert. In Selbst­hil­fe­grup­pen kön­nen Sie mit Men­schen spre­chen, die ähn­li­che Her­aus­for­de­run­gen ken­nen, und sich gegen­sei­tig Tipps geben. Vie­le ADHS-Selbst­hil­fe­grup­pen bie­ten auch Info­ver­an­stal­tun­gen, Eltern­stamm­ti­sche oder Online-Foren an. Wie fin­det man sol­che Grup­pen? – Eine bun­des­wei­te Suche ermög­licht z.B. die Natio­na­le Kon­takt- und Infor­ma­ti­ons­stel­le für Selbst­hil­fe (NAKOS), die online eine Daten­bank bereit­hält. Auch ört­li­che Gesund­heits­äm­ter oder die Kran­ken­kas­sen kön­nen Kon­tak­te zu Selbst­hil­fe­grup­pen in Ihrer Nähe ver­mit­teln. Eine wich­ti­ge Anlauf­stel­le ist ADHS Deutsch­land e.V., der bun­des­wei­te Fach­ver­band für Men­schen mit ADHS und ihre Fami­li­en. ADHS Deutsch­land e.V. bie­tet Infor­ma­ti­ons­ma­te­ri­al, eine Tele­fon- und E‑Mail-Bera­tung, regio­na­le Lan­des­grup­pen und kennt loka­le Selbst­hil­fe­ver­ei­ne und Eltern­in­itia­ti­ven (Adres­sen sind über die Web­site auf­find­bar). Oft wis­sen auch Kin­der­ärz­te, Psy­cho­lo­gen oder Erzie­hungs­be­ra­tungs­stel­len von ADHS-Eltern­grup­pen vor Ort. Scheu­en Sie sich nicht, die­se aktiv zu suchen – der Rück­halt und die Erfah­run­gen ande­rer Eltern kön­nen unge­mein hilf­reich sein.
  • Bera­tungs­stel­len für Eltern und Fami­li­en: Neben Selbst­hil­fe­grup­pen gibt es pro­fes­sio­nel­le Erzie­hungs­be­ra­tungs­stel­len (oft in Trä­ger­schaft von Cari­tas, Dia­ko­nie, städ­ti­schen Jugend­äm­tern), die bei Ver­hal­tens­pro­ble­men von Kin­dern bera­ten. Dort kön­nen Eltern z.B. Trai­nings zum Umgang mit ADHS besu­chen (Stich­wort: Eltern­trai­ning) und erhal­ten prak­ti­sche Hil­fe­stel­lun­gen für den Fami­li­en­all­tag. Sol­che Bera­tungs­an­ge­bo­te sind meist kos­ten­los. Auch Sozi­al­päd­ia­tri­sche Zen­tren (SPZ) oder kin­der- und jugend­psych­ia­tri­sche Diens­te bie­ten Bera­tung und Unter­stüt­zung an – gera­de wenn es um The­ra­pie, Schul­pro­ble­me oder Inte­gra­ti­ons­hil­fen (z.B. Schul­be­glei­ter) geht.
  • Pfle­ge­be­ra­tung und Pfle­ge­stütz­punk­te: Spe­zi­ell für Fra­gen rund um Pfle­ge­gra­de und ent­las­ten­de Ange­bo­te gibt es die Pfle­ge­be­ra­tung gemäß § 7a SGB XI. Jede Pfle­ge­kas­se muss ihren Ver­si­cher­ten eine kos­ten­lo­se Bera­tung anbie­ten. Es gibt auch unab­hän­gi­ge Pfle­ge­stütz­punk­te in vie­len Städ­ten, wo man per­sön­lich oder tele­fo­nisch Rat bekom­men kann (die­se wer­den von Kas­sen und Kom­mu­nen gemein­sam betrie­ben). Eine Pfle­ge­be­ra­tung kann Eltern hel­fen, den Antrag rich­tig zu stel­len, Leis­tun­gen aus­zu­schöp­fen (z.B. Ver­hin­de­rungs­pfle­ge, Ent­las­tungs­be­trag) und wei­te­re Hil­fen zu orga­ni­sie­ren. Zudem ken­nen Pfle­ge­be­ra­ter oft wei­te­re regio­na­le Ange­bo­te für Fami­li­en mit pfle­ge­be­dürf­ti­gen Kindern.
  • Teil­ha­be- und Sozi­al­be­ra­tungs­stel­len: Eltern von Kin­dern mit Behin­de­run­gen (auch psy­chi­schen) haben Zugang zu spe­zi­el­len Bera­tungs­diens­ten. Hier­zu zählt ins­be­son­de­re die Ergän­zen­de unab­hän­gi­ge Teil­ha­be­be­ra­tung (EUTB). Die EUTB-Stel­len bera­ten bun­des­weit kos­ten­los rund um das The­ma Teil­ha­be und Behin­de­rung – also auch zu Pfle­ge­gra­den, aber eben­so zu Ein­glie­de­rungs­hil­fe, Nach­teils­aus­glei­chen, Früh­för­de­rung etc. Eini­ge Berater*innen dort haben Erfah­rung mit Pfle­ge­be­gut­ach­tun­gen bei psy­chi­schen Behin­de­run­gen und kön­nen wert­vol­le Hin­wei­se geben. Sie ver­mit­teln bei Bedarf auch Kon­tak­te zu ande­ren Betrof­fe­nen oder Fach­stel­len. Dane­ben gibt es Sozi­al­ver­bän­de wie der VdK oder Sozi­al­ver­band Deutsch­land (SoVD), die Mit­glie­der bei Anträ­gen und Wider­sprü­chen unter­stüt­zen. Die­se Ver­bän­de haben Juris­ten, die im Kon­flikt­fall (Widerspruch/Klage) hel­fen kön­nen – für Mit­glie­der oft kos­ten­frei oder gegen gerin­ges Entgelt.
  • The­ra­peu­ti­sche und päd­ago­gi­sche Hil­fen: Zwar kei­ne „Bera­tungs­stel­le“ im enge­ren Sin­ne, aber den­noch wich­tig: Stel­len Sie sicher, dass Sie und Ihr Kind alle nöti­gen the­ra­peu­ti­schen Unter­stüt­zun­gen erhal­ten. Eine ADHS-Behand­lung (Medi­ka­ti­on, Psy­cho­the­ra­pie, Ver­hal­tens­trai­ning, Ergo­the­ra­pie, Eltern­coa­ching etc.) ver­bes­sert oft den All­tag und kann indi­rekt den Pfle­ge­auf­wand redu­zie­ren. Fra­gen Sie den behan­deln­den Arzt nach pas­sen­den Ange­bo­ten. Man­che Kli­ni­ken bie­ten Eltern­kur­se oder Schu­lun­gen an („ADHS-Eltern­trai­ning“), die Ihnen Stra­te­gien im Umgang mit dem Kind ver­mit­teln. Sol­che Kur­se wer­den teil­wei­se vom Jugend­amt finan­ziert. Auch spe­zi­el­le För­der­an­ge­bo­te in Schu­le oder Frei­zeit (z.B. inte­gra­ti­ve Feri­en­pro­gram­me) kön­nen eine Ent­las­tung sein. Infor­mie­ren Sie sich beim Jugend­amt oder Schul­amt über mög­li­che Hil­fen zur Ein­glie­de­rungs­hil­fe für Ihr Kind (z.B. Schul­be­glei­ter, Hort­plät­ze mit beson­de­rer Betreu­ung). Die­se Leis­tun­gen fal­len zwar nicht unter die Pfle­ge­ver­si­che­rung, aber ergän­zen das Unterstützungsnetz.

Fazit: Sie sind nicht allein – zahl­rei­che Stel­len ste­hen bereit, um Sie zu bera­ten und zu unter­stüt­zen. Vom Erfah­rungs­aus­tausch mit ande­ren Eltern bis zur pro­fes­sio­nel­len Pfle­ge­be­ra­tung gibt es vie­le Wege, Hil­fe zu bekom­men. Neh­men Sie die­se Ange­bo­te ruhig in Anspruch. Ins­be­son­de­re wenn Sie einen Pfle­ge­grad bean­tra­gen möch­ten, kön­nen Exper­ten und ande­re Betrof­fe­ne wert­vol­le Tipps geben, wie Sie erfolg­reich ans Ziel kom­men. Und unab­hän­gig vom Pfle­ge­grad: Scheu­en Sie sich nicht, Hil­fe im All­tag anzu­neh­men – sei­en es Ent­las­tungs­leis­tun­gen über die Pfle­ge­kas­se, the­ra­peu­ti­sche Ange­bo­te oder ein­fach mal die Groß­el­tern oder Freun­de, die ein­sprin­gen. Die Betreu­ung eines Kin­des mit ADHS ist anspruchs­voll, aber mit dem rich­ti­gen Netz­werk und staat­li­cher Unter­stüt­zung muss kei­ne Fami­lie damit allei­ne fer­tig werden.

Quel­len:

Offi­zi­el­le Stel­len wie das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um und der Medi­zi­ni­sche Dienst infor­mie­ren aus­führ­lich über Pfle­ge­be­dürf­tig­keit und Pfle­ge­gra­de. Für spe­zi­fi­sche Infos zu ADHS und Pfle­ge­grad haben wir u.a. auf ADHS Deutsch­land e.V., beta­net (Sozi­al­por­tal) sowie Rat­ge­ber­sei­ten wie pflegeantrag.de zurück­ge­grif­fen, die aktu­el­le (Stand 2025) Infor­ma­tio­nen bie­ten. Wei­te­re Details fin­den sich in den Begut­ach­tungs-Richt­li­ni­en des Medi­zi­ni­schen Diens­tes und im Sozi­al­ge­setz­buch XI. Eltern von ADHS-Kin­dern emp­feh­len wir zudem die Lite­ra­tur und Bera­tungs­an­ge­bo­te der ADHS-Selbst­hil­fe­ver­bän­de. Bei Fra­gen zum The­ma Pfle­ge­grad zögern Sie nicht, eine Pfle­ge­be­ra­tung oder Ihren Ansprech­part­ner bei der Pfle­ge­kas­se zu kon­tak­tie­ren. Viel Kraft und Erfolg auf Ihrem Weg – Sie tun das Rich­ti­ge für Ihr Kind!

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